PSYCHOLOGISCHE UND NORMATIVE ÄSTHETIK.
Gottfried Semper vertreten war1), durch ihre vergleichend objektive
Methode eigentlich zu keinen Resultaten führte, liegt darin begründet,
daß sie eben ohne Fühlung mit der Psychologie war. Semper wollte
durch gewisse objektive Gesichtspunkte zum Verständnis der ästhe-
tischen Tatsachen gelangen. Solche Gesichtspunkte waren für ihn z. B.
Betrachtung des Kunstwerkes vom Gesichtspunkte des Materials, aus
dem es gemacht ist, oder des Zweckes, den es erfüllen soll, und der-
gleichen mehr.
Diese Betrachtungsweise war willkürlich, und die Prinzipien, welche
sie aufstellte, schwebten in der Luft. Denn das Hauptziel der Ästhetik
ist: alles das zu erklären, was mit dem ästhetischen Genuß in Ver-
bindung steht; sie hat das zu berücksichtigen, was den ästhetischen
Genuß bedingt und ihn zu stände bringt. Nun wissen wir, daß nicht
alle Prinzipien und Gesichtspunkte, unter welchen das Kunstwerk ob-
jektiv betrachtet werden kann, für das ästhetische Verhalten von Wert
sind. So kann ich das Kunstwerk als Kaufware abschätzen, oder nach
seinem Nutzen überhaupt, oder vom Standpunkte der Naturwissen-
schaft u. s. w. Der Umstand indessen, daß eine Statue so oder so
viel gekostet hat, oder daß die Farben, mit denen das Bild gemalt ist,
aus diesen oder jenen chemischen Bestandteilen bestehen, hat mit
dem ästhetischen Genuß schlechterdings nichts zu tun. Allgemein ge-
sprochen: von allen möglichen objektiven Gesichtspunkten, unter wel-
chen das Kunstwerk betrachtet werden kann, ist nur einer oder jeden-
falls nur eine geringe Anzahl für die Ästhetik von Bedeutung, und wir
haben keine Richtschnur, die uns auf den fruchtbarsten Gesichtspunkt
hinwiese. Wir sind auf planlose Versuche angewiesen, bis wir rein
zufällig, vielleicht am Ende, auf das ästhetische Prinzip stoßen. Daß
das aber sehr selten vorkommt, das hat uns Semper selber am besten
gezeigt. Denn alle seine Prinzipien, wie Zweck, Bearbeitung, Material,
haben für die Ästhetik nicht die Bedeutung, die er ihnen zugeschrieben
hat. Es mag manchmal wirklich das Zweckmäßige mit dem Ästhetischen
zusammentreffen, aber wie vieles Zweckmäßige ist unästhetisch und
wie vieles Ästhetische unzweckmäßig! Eine solche objektive Analyse
steht immer vor der Gefahr, etwas rein Zufälliges und Nebensächliches
für die Hauptsache und Ursache des Schönen zu erklären. Und wo
Semper das Richtige getroffen hat, wie z. B. beim Material, da ist seine
Betrachtung eigentlich psychologisch. Denn daß nicht jedes Material
für eine gewisse Art von Kunstwerken sich eignet, ist nur durch ein
rein unmittelbares, also psychisches Erlebnis gegeben. Wir fühlen uns
]) Vgl. Albert Fischer, Die ästhetischen Anschauungen Gottfried Sempers und
die moderne psychologische Ästhetik. Archiv für die ges. Psychologie Bd. IL
Gottfried Semper vertreten war1), durch ihre vergleichend objektive
Methode eigentlich zu keinen Resultaten führte, liegt darin begründet,
daß sie eben ohne Fühlung mit der Psychologie war. Semper wollte
durch gewisse objektive Gesichtspunkte zum Verständnis der ästhe-
tischen Tatsachen gelangen. Solche Gesichtspunkte waren für ihn z. B.
Betrachtung des Kunstwerkes vom Gesichtspunkte des Materials, aus
dem es gemacht ist, oder des Zweckes, den es erfüllen soll, und der-
gleichen mehr.
Diese Betrachtungsweise war willkürlich, und die Prinzipien, welche
sie aufstellte, schwebten in der Luft. Denn das Hauptziel der Ästhetik
ist: alles das zu erklären, was mit dem ästhetischen Genuß in Ver-
bindung steht; sie hat das zu berücksichtigen, was den ästhetischen
Genuß bedingt und ihn zu stände bringt. Nun wissen wir, daß nicht
alle Prinzipien und Gesichtspunkte, unter welchen das Kunstwerk ob-
jektiv betrachtet werden kann, für das ästhetische Verhalten von Wert
sind. So kann ich das Kunstwerk als Kaufware abschätzen, oder nach
seinem Nutzen überhaupt, oder vom Standpunkte der Naturwissen-
schaft u. s. w. Der Umstand indessen, daß eine Statue so oder so
viel gekostet hat, oder daß die Farben, mit denen das Bild gemalt ist,
aus diesen oder jenen chemischen Bestandteilen bestehen, hat mit
dem ästhetischen Genuß schlechterdings nichts zu tun. Allgemein ge-
sprochen: von allen möglichen objektiven Gesichtspunkten, unter wel-
chen das Kunstwerk betrachtet werden kann, ist nur einer oder jeden-
falls nur eine geringe Anzahl für die Ästhetik von Bedeutung, und wir
haben keine Richtschnur, die uns auf den fruchtbarsten Gesichtspunkt
hinwiese. Wir sind auf planlose Versuche angewiesen, bis wir rein
zufällig, vielleicht am Ende, auf das ästhetische Prinzip stoßen. Daß
das aber sehr selten vorkommt, das hat uns Semper selber am besten
gezeigt. Denn alle seine Prinzipien, wie Zweck, Bearbeitung, Material,
haben für die Ästhetik nicht die Bedeutung, die er ihnen zugeschrieben
hat. Es mag manchmal wirklich das Zweckmäßige mit dem Ästhetischen
zusammentreffen, aber wie vieles Zweckmäßige ist unästhetisch und
wie vieles Ästhetische unzweckmäßig! Eine solche objektive Analyse
steht immer vor der Gefahr, etwas rein Zufälliges und Nebensächliches
für die Hauptsache und Ursache des Schönen zu erklären. Und wo
Semper das Richtige getroffen hat, wie z. B. beim Material, da ist seine
Betrachtung eigentlich psychologisch. Denn daß nicht jedes Material
für eine gewisse Art von Kunstwerken sich eignet, ist nur durch ein
rein unmittelbares, also psychisches Erlebnis gegeben. Wir fühlen uns
]) Vgl. Albert Fischer, Die ästhetischen Anschauungen Gottfried Sempers und
die moderne psychologische Ästhetik. Archiv für die ges. Psychologie Bd. IL