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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0154
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BESPRECHUNGEN.

sehen Strömungen der ersten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts und bildet
so eine willkommene literarische Ergänzung zu der vorjährigen großen Berliner
Jahrhundertausstellung. Carus war der Ästhetiker jener Gruppe von Malern, denen
auf der eben genannten Ausstellung eine Art Auferstehung und neuer Ruhm zu teil
ward. Ich nenne nur wenige Namen: Kaspar David Friedrich, Philipp Otto Runge,
Georg Friedrich Kersting, Martin Rohden. Es sind dies jene deutschen Künstler,
»die um ein neues, innigeres Verhältnis zur Natur sich bemühten, und wo jene be-
sondere Auffassung der Landschaft sich auszubilden begann, die charakteristisch für
das 19. Jahrhundert bis auf unsere Tage geworden ist«. So war also Carus ein be-
geisterter Vorkämpfer der Landschaftsmalerei, eines Kunstzweiges, der im 18. Jahr-
hundert — mit Ausnahme Herders und Heinses1) — arg unterschätzt wurde, da
die einseitige Bewunderung der Antike den Sinn für rein malerische Schönheiten
ganz unempfindlich machte. Carus verlangt aber nicht bloße Abbilder der Natur,
sondern erhebt die moderne Forderung, daß »ein Bild landschaftlicher Art eigene
menschliche Gefühle und seelische Stimmungen« ausspreche. So widmet er dieser
Frage eine eigene Untersuchung, »wie Regungen des Gemüts und Zustände, der
Natur sich entsprechen«. Was belebte Geschöpfe betrifft, so sind diese zwar als
solche der Landschaft fremd, »jedoch wirken sie, indem sie die Bedeutung der
übrigen Gegenstände hervorheben, zur Verstärkung der Wirkung dieser letzteren im
hohen Grade mit«. So kann z. B. ein schwebender Raubvogel die Gebirgsnatur
lebendiger darstellen, aber stets muß Landschaft und belebtes Geschöpf zusammen-
stimmen; dieses muß aus jener »notwendig hervorgehen und zu ihr gehören«, so-
lange die Landschaft Landschaft bleiben will und soll. So sehen wir also in Carus
einen Herold neuer Kunstanschauungen, und die Entwickelung der Kunst gab ihm
recht. Was er als Neuheit verkündete, ist heute Gemeingut aller Gebildeten und
eine Quelle reicher, edler Genüsse. Wie sehr sich Carus bemühte, das damalige
Publikum schauen zu lehren und auf die verborgenen Schönheiten der Natur hinzu-
weisen, zeigen seine »Fragmente eines malerischen Tagebuchs«. »In überraschender
Weise tun sie unter anderem dar, wie das Auge eines Künstlers in dem zweiten
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts schon für farbige Lichterscheinungen in der Natur
empfänglich war, deren Beobachtung sonst gern als eine moderne Errungenschaft
hingestellt wird.« Es sei mir hier gestattet zwei Proben wiederzugeben: »Januar.
Vollmond. .. . Weiterhin waren die Schanzenhügel der Bastion mit Schnee bedeckt,
gegen den westlichen Himmel eine schöne Erscheinung. Der Himmel war abwärts
in violettbräunlichen Duft, oberwärts in Rötlich übergehend, gehüllt, und dann erst
kam der helle gelbliche Abendhimmel. Hingegen nun erschien der Schnee ganz
blau und violett und sehr hell gegen den abendlichen Duft des Horizonts, obwohl
immer auch im Lichte dunkler als der helle Himmel. Die Schlagschatten der Un-
ebenheiten des Schnees waren immer dunkler, selbst als der Abendduft.« Wen er-
innert dies nicht an ganz moderne Bilder? Und nun die zweite Probe: »Februar,
Neumond. ... Im Heimgehen trieb der Wind das Schneegewölk näher, wunderlich
sauste es in tiefer Dämmerung in den kahlen Baumwipfeln und Fichten, und ein
Mann vor mir hergehend in weitem Mantel, platter Mütze, mit schwarzem Hund

') Vgl. mein Buch: Heinse und die Ästhetik zur Zeit der deutschen Aufklärung,
Halle 1906. — Sehr interessant wäre ein Vergleich der Ansichten von Heinse und
Carus; es ließe sich zeigen, wie so manche Forderung Heinses festere Formen bei
Carus annimmt, der ein Menschenalter später lebte, also zu einer Zeit, da ihn
bereits ein Kreis gleichgesinnter Maler umgab und die Wucht der Winckelmannschen
Lehren gebrochen war.
 
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