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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Lange, Konrad: Zur Philosophie der Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0107
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Bemerkungen

Zur Philosophie der Kunstgeschichte.
Von
Konrad Lange.
Gleich die Anfänge der Kunstentwickelung bieten dem Forscher ein sehr inter-
essantes Problem. Man hat sich immer darüber gewundert, daß gerade die ältesten
Kunstwerke, die sich erhalten haben, einen durchaus naturalistischen Charakter
zeigen. Die Bewohner der paläolithischen Höhlen Südfrankreichs und Spaniens
haben uns bekanntlich auf Knochen und Geweihen eingravierte und auf die Wände
ihrer Höhlen aufgemalte Tierbilder hinterlassen, die an Treue der Naturnachahmung,
Schärfe der Formenauffassung und lebendiger Wiedergabe der Bewegungen alles
übertreffen, was wir sonst von prähistorischer Kunst kennen. Zwar zeigen auch diese
Tierbilder insofern schon einen gewissen Stil, als die Tiere auf ihnen immer im Profil,
d. h. in der charakteristischsten und am leichtesten zu erfassenden Ansicht erscheinen.
Auch sind die Einzelheiten mit Rücksicht auf die Härte des Materials und die Schwierig-
keit der Bearbeitung in abgekürzter Weise wiedergegeben. Aber dabei ist doch die
Naturwahrheit dieser Umrißzeichnungen so groß, daß man ihnen gegenüber eher
am Ende einer langen aufwärtsstrebenden Kunstentwickelung als am Anfang alles
künstlerischen Schaffens zu stehen glaubt.
Das Merkwürdigste ist aber, daß diese Richtung mit dem Paläolithikum aus-
stirbt, in der Folgezeit keine Fortsetzung findet. Ganz im Gegensatz zu diesem
naturalistischen Stil ist die Kunst der jüngeren Steinzeit, der Bronze- und Eisenzeit
durchaus dekorativ-stilisierend. In ihren Naturnachahmungen treten an die Stelle der
feinen gefühlvollen Umrisse schematische Linien, die tierischen und menschlichen
Körperformen werden in ein bestimmtes geometrisches Schema eingezwängt, so daß
die Schultern sehr breit, die Taille sehr dünn, die Schenkel wieder sehr dick er-
scheinen. Gerade Linien oder konventionelle Kurven, regelmäßige Figuren, parallele
Strichelungen u. s. w. lassen das Naturvorbild oft nur mit der größten Mühe er-
kennen.
Man hat diesen Gegensatz früher immer auf die Verschiedenheit der äußeren
Verhältnisse zurückgeführt, unter denen diese beiden Stile entstanden sind. Der
erstere ist eine Schöpfung primitiver Jägerstämme, der letztere das Erzeugnis einer
Ackerbauer- und Viehzüchterkultur.
Die Renntier- und Mammutjäger der Eiszeit, so sagte man, waren durch ihre
Beschäftigung, die Jagd, auf eine genaue Kenntnis der Tierwelt angewiesen. Sie
hatten sich im Kampfe ums Dasein einen scharfen Blick für die körperlichen Eigen-
tümlichkeiten ihrer Jagdbeute angeeignet. Durch die fortwährende Aufspürung und
Verfolgung derselben waren ihre Sinneswerkzeuge zu einer Schärfe ausgebildet
worden, die sie befähigte, ein solches Tier auch aus der Erinnerung genau wieder-
zugeben. Der Gewohnheit, sich Waffen, Gewänder und Geräte mit eigener Hand
zu fertigen, verdankten sie eine so große manuelle Geschicklichkeit, daß ihnen die
 
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