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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0115
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Besprechungen

Sigmund Bytkowski, Gerhart Hauptmanns Naturalismus und das Drama.
Verlag von Leopold Voß, Hamburg und Leipzig 1908. gr. 8°. VIII u. 208 S.
Neuntes Heft der »Beiträge zur Ästhetik«, herausgegeben von Theodor Lipps
und Richard Maria Werner.
Vielleicht wäre eine Untersuchung darüber anregend, ob es denn angehe, einen
Stoff zu bearbeiten, der dem Verfasser zuwider ist. Der entgegengesetzte Fall tritt
ja oft genug ein: der Autor verliebt sich in sein Thema und überschätzt dann
dessen Bedeutung. Doch vielleicht wiegt dieser Mangel nicht so schwer, als das
unerbittliche Forschen nach Fehlern und Schwächen, während wichtige Vorzüge
vollkommen dem nur Schattenseiten suchenden Auge sich verschleiern. Das vor-
liegende Werk ist ein Ergebnis derartiger Arbeit, eine Frucht, die der Haß gezeitigt
hat. Mit wahrer Meisterschaft werden alle Schwächen des naturalistischen Dramas
bloßgelegt; nur fehlt anderseits die Liebe, welche die lichten Seiten erkennt. Wohl
flammt auch Begeisterung in dem Buche, aber sie gilt Shakespeare und dem großen
klassischen Drama. Ohne Zweifel sind dies hehre Muster, von denen ein Ästhe-
tiker des Dramas viel lernen kann; wie schade, daß die Liebe zu ihnen Haß er-
zeugt hat gegen das Drama der vergangenen Neunzigerjahre. Haß gebiert Unge-
rechtigkeit, und daher fehlt unserem Autor die Erkenntnis der Bedeutung Gerhart
Hauptmanns, die uns gerade jetzt, da das Kampfgeschrei verhallt, immer mehr be-
wußt wird. Dem naturalistischen Drama, mag es im Kern auch verfehlt sein,
kommt ein weit höherer Wert zu, als ihm Bytkowski zuerkennen will. Ich ver-
weise hier nur auf eine der neuesten Darstellungen dieser Epoche, die verständnis-
voll Licht- und Schattenseiten prüft und so der Wahrheit wohl näher rückt, als
unser Autor. Ich meine »Das moderne Drama« (Straßburg 1908) von R. F. Arnold.
Drei Hauptteile findet der Leser in Bytkowskis Werke: eine kritische Analyse
der naturalistischen Dramen Hauptmanns; eine Kritik des naturalistischen Dramas
überhaupt mit Gedanken über das Wesen des Dramas; und endlich eine kunst-
theoretische Begründung.
Was den ersten Punkt anlangt, so kann er im Rahmen dieser Zeitschrift nicht
eingehend erörtert werden, schon aus dem Grunde nicht, weil eine Kritik der ein-
zelnen Werturteile Bytkowskis zu einer eingehenden Zergliederung der Hauptmann-
schen Werke führen müßte, wodurch die vorliegende Besprechung räumlich zu sehr
anschwellen würde. So will ich mich denn hier nur auf einige allgemeine Bemer-
kungen beschränken. Unser Autor behandelt lediglich die naturalistischen Elemente
in Hauptmanns Dramen, oder besser gesagt: die naturalistischen Dramen Haupt-
manns. Dabei darf naturgemäß nicht vergessen werden, daß hiermit das Dichtwerk
nicht ausgeschöpft ist, daß wichtige Teile zu einem Gesamturteil fehlen. Dies
übersah zuweilen Bytkowski, ebenso wie die Tatsache, daß selbst innerhalb des
naturalistischen Dramas bei Hauptmann eine Entwickelung statthat von den Dramen
des »reifen Zustandes« zum »Fuhrmann Henschel« etwa, der Handlung im wahrsten
Sinne enthält und nicht lediglich Katastrophe und Schilderung (vgl. auch Richard
 
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