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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0311
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BESPRECHUNGEN.

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wie theoretisierend im gleichen Stoff, er arbeitet beide Male mit den psychischen
Gebilden der Sprache. So braucht er nicht die seine Kunst angehenden Fragen
und Erlebnisse aus einer Ausdruckswelt in eine andere, seiner Begabung nicht
gemäße, zu übersetzen. Und die lebenslange Gewöhnung an das Denken, an die
Welt der Sprache, an Wert und Charakter der Worte erleichtert es den Dichtern
außerordentlich, sich in eine philosophische Terminologie einzuarbeiten. Schließlich:
die technischen, die handwerklichen Fragen, die im Denken des bildenden Künstlers
einen so großen Raum beanspruchen, treten in der Ästhetik der Poeten verhältnis-
mäßig zurück. Ein Dichter steht nach Denkart und Sprachgebrauch dem Philo-
sophen bedeutend näher als ein bildender Künstler. —
So scheint die verschiedene ästhetische Leistungsfähigkeit nicht einzig und
allein abhängig zu sein von der größeren oder geringeren ästhetischen Begabung,
sondern auch von dem Material, in dem der ästhetisch interessierte Mensch die
Probleme des künstlerischen Schaffens und Genießens zu lösen versucht.
Florenz.
Wilhelm Waetzoldt.

M. Strauß, Inhalt und Ausdrucksmittel der Musik. Eine musikästhetische
Skizze. Berlin-Großlichterfelde, Chr. Friedrich Vieweg, 1908.
Der Verfasser weist im Vorwort selbst darauf hin, daß sein Schriftchen nicht
für den Fachmann bestimmt sei, sondern nur den Laien auf einige Hauptprobleme
der Musikästhetik aufmerksam machen und ihn zu weiterer Beschäftigung mit den
betreffenden Fragen anregen wolle. Es kann dem Verfasser leider aber auch die
Fähigkeit, dieser enger umgrenzten Absicht zu genügen, nicht zugesprochen werden.
Er ist selbst zu sehr Laie, um Laien belehren und führen zu können. Sein eigenes
Denken bedürfte auf dem Gebiete der Ästhetik erst noch einer gründlichen, durch-
greifenden Läuterung.
Strauß gliedert seine Skizze in drei Kapitelchen, deren erstes sich mit der Unter-
scheidung der formalistischen und inhaltlichen Musikästhetik beschäftigt. Neben
diesen beiden Richtungen glaubt Strauß noch eine dritte unterscheiden zu sollen,
diejenige nämlich, welche lehrt, »daß nicht nur Gefühle, sondern auch bestimmte
Ideen, Vorstellungskreise und Ereignisse der Außenwelt den Inhalt der Musik zu bilden
fähig sind«. Die formalistische Ästhetik identifiziert Strauß unter der Hand mit der
Normativästhetik und diese hinwiederum mit einer dogmatisch starren Gesetzgebung,
welche den Künstler fesseln will, anstatt seine lebendige Führung anzuerkennen.
Noch mehr aber verkennt Strauß das Wesen des Formalismus in der Musik-
ästhetik dadurch, daß er von ihm glaubt, er sei aus den Werken einer ganz be-
stimmten Periode gewonnen, spiegle deren Charakter wieder und diene ihm zur
Rechtfertigung. Strauß ist nicht vertraut mit den Gesetzen künstlerischer Entwickelung.
Er geht von der Voraussetzung aus, daß in jeder Kunst nicht das geistige Element
das Primäre sei, sondern das formale, und daß der Geist die Kunstformen erst
dann erfülle, wenn diese eine gewisse Höhe der Ausbildung erreicht haben. Die
Periode aber, welcher Strauß die rein formale Gestaltung in der Musik zuweist, ist
keine geringere als diejenige Haydns und Mozarts. Er spricht von den Kompositionen
dieser Meister als von vorwiegend formalistischer Musik und glaubt damit nicht
einmal eine Herabsetzung ausgesprochen zu haben, obschon er im gleichen Atem
fortfährt, daß eine Sonate von Haydn überhaupt nichts ausdrücken wolle, sondern
lediglich reines Tonspiel sei, daß ferner die meisten Sonaten, Fugen und Suiten des
18. Jahrhunderts, selbst die meisten Haydnschen Symphonien, sich in erster Linie
an unsere Sinne wenden und daher dem Geiste vieles schuldig bleiben. Strauß
 
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