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BESPRECHUNGEN.
nimmt den immer wiederkehrenden Irrtum auf, Haydn und Mozart als Rokokokünstler
zu bezeichnen. Er wagt es, von dem »Zöpfchen« bei Mozart zu reden und dessen
Musik herzuleiten aus einem rücksichtslosen Drang, der Leben und Kunst als Spiel
und Unterhaltung genießen wolle. Auf diese Weise wird die Musik Mozarts zur
Blüte und dem Höhepunkte der formalen Musik, und der Formalismus in der Musik-
ästhetik ist nun nicht mehr ein theoretischer Irrtum, der den musikalisch-künstlerischen
Gehalt aller und jeder Musik als solchen verkennt und mißdeutet, sondern er wird
zum getreuen Spiegelbild einer der größten Epochen der gesamten Musikgeschichte.
Diese Proben mögen ausreichen. Sie entheben uns der Mühe, auch noch der
Charakteristik Beethovens und der Späteren weiter nachzugehen.
Das zweite Kapitel des Schriftchens beschäftigt sich mit der Tonmalerei und
Programmmusik, das dritte mit den Ausdrucksmitteln und -Formen der Musik.
Überall verfährt der Verfasser mit der gleichen Naivität. Die Berechtigung der
Tonmalerei und Programmmusik gründet er darauf, daß jedes Gefühl in die Vor-
stellungswelt übergreife, und daß daher die Musik, welche ja die Gefühle auszu-
drücken vermöge, auch die mit ihnen parallel laufenden Handlungen darstellen könne.
Strauß hat mittlerweile vergessen, daß gerade die direkte Aussprache der vor-
stellungsmäßigen Elemente des Gefühls der Musik versagt ist, und daß sich eben
hieraus ihre so oft berufene »Unbestimmtheit« herleitet. Strauß weiß nichts von der
rein geistigen Analogie, vermöge welcher bestimmte musikalische Ausdrucksmittel
und der durch sie verwirklichte Ausdruck mit bestimmten außermusikalischen Vor-
stellungen verbunden sind. Er sieht in den Ausdrucksmitteln der Musik die Mög-
lichkeit gegeben, beim Hörer unmittelbar ganz bestimmte Vorstellungen und Bilder
auszulösen. In diesem Sinne sagt er von der Dynamik, daß sie die Musik befähige,
bestimmte Vorstellungen und Handlungen räumlich und zeitlich auszudrücken; auch
die Klangfarbe deutet er als eine Fähigkeit, bestimmte Vorstellungen und Bilder
direkt durch das tonerzeugende Instrument hervorzurufen. Zugleich bekennt er
sich doch zu der Meinung, daß die Musik den (begrifflichen) Gedanken oder das
Objekt niemals ausschöpfen werde, sondern stets einen unausgedrückten Rest stehen
lassen müsse. Dieser mit musikalischen Mitteln nicht ausdriickbare Rest schlägt in
der Hand des ungewandten Verfassers aber sogleich wieder in das »Unsagbare«
um, welches wohl in Töne, nicht aber in Begriffe eingeht. Hier stellt sich nun das
Wort von der Musik als der »geborenen Hilfskunst« ein in dem unhaltbaren Sinne,
daß die Musik eine Kunst sei, die Hilfe braucht, da »ihre Absichten und Objekte
dem Geiste durch das aufklärende Wort vermittelt werden müssen«.
Auch die sensualistische Deutung, daß die Musik die Gefühle in uns un-
mittelbar hervorrufe durch Erregung der Nerven, fehlt selbstverständlich nicht bei
Strauß, wobei noch der Begriff der Scheingefühle eine irreleitende Anwendung er-
fährt. — Mit mir persönlich setzt sich Strauß auseinander über die Bedeutung der
außerästhetischen Assoziation. So sehr ich ihm Dank weiß für die Aufmerksamkeit
und freundliche Anerkennung, die er mir und meinen Arbeiten zollt, so glaube ich
eine sachliche Auseinandersetzung doch nicht aufnehmen zu sollen, da die Vor-
bedingungen der Verständigung nicht gegeben sind. Strauß vermengt die außer-
ästhetische Assoziation mit der Vorstellungsproduktion und diese hinwiederum
mit dem Ergreifen und Verstehen des in der Vorstellung selbst gegebenen Aus-
drucksgehaltes. Sein ganzes Schriftchen gehört jener Periode an, in welcher das
Gebiet der Musikästhetik den Tummelplatz bildete für jedermann, der sich mit
Musik beschäftigt und sich darüber so seine Gedanken gemacht hat. Und über-
wunden ist diese Periode leider immer noch nicht.
Ulm.
Paul Moos.
BESPRECHUNGEN.
nimmt den immer wiederkehrenden Irrtum auf, Haydn und Mozart als Rokokokünstler
zu bezeichnen. Er wagt es, von dem »Zöpfchen« bei Mozart zu reden und dessen
Musik herzuleiten aus einem rücksichtslosen Drang, der Leben und Kunst als Spiel
und Unterhaltung genießen wolle. Auf diese Weise wird die Musik Mozarts zur
Blüte und dem Höhepunkte der formalen Musik, und der Formalismus in der Musik-
ästhetik ist nun nicht mehr ein theoretischer Irrtum, der den musikalisch-künstlerischen
Gehalt aller und jeder Musik als solchen verkennt und mißdeutet, sondern er wird
zum getreuen Spiegelbild einer der größten Epochen der gesamten Musikgeschichte.
Diese Proben mögen ausreichen. Sie entheben uns der Mühe, auch noch der
Charakteristik Beethovens und der Späteren weiter nachzugehen.
Das zweite Kapitel des Schriftchens beschäftigt sich mit der Tonmalerei und
Programmmusik, das dritte mit den Ausdrucksmitteln und -Formen der Musik.
Überall verfährt der Verfasser mit der gleichen Naivität. Die Berechtigung der
Tonmalerei und Programmmusik gründet er darauf, daß jedes Gefühl in die Vor-
stellungswelt übergreife, und daß daher die Musik, welche ja die Gefühle auszu-
drücken vermöge, auch die mit ihnen parallel laufenden Handlungen darstellen könne.
Strauß hat mittlerweile vergessen, daß gerade die direkte Aussprache der vor-
stellungsmäßigen Elemente des Gefühls der Musik versagt ist, und daß sich eben
hieraus ihre so oft berufene »Unbestimmtheit« herleitet. Strauß weiß nichts von der
rein geistigen Analogie, vermöge welcher bestimmte musikalische Ausdrucksmittel
und der durch sie verwirklichte Ausdruck mit bestimmten außermusikalischen Vor-
stellungen verbunden sind. Er sieht in den Ausdrucksmitteln der Musik die Mög-
lichkeit gegeben, beim Hörer unmittelbar ganz bestimmte Vorstellungen und Bilder
auszulösen. In diesem Sinne sagt er von der Dynamik, daß sie die Musik befähige,
bestimmte Vorstellungen und Handlungen räumlich und zeitlich auszudrücken; auch
die Klangfarbe deutet er als eine Fähigkeit, bestimmte Vorstellungen und Bilder
direkt durch das tonerzeugende Instrument hervorzurufen. Zugleich bekennt er
sich doch zu der Meinung, daß die Musik den (begrifflichen) Gedanken oder das
Objekt niemals ausschöpfen werde, sondern stets einen unausgedrückten Rest stehen
lassen müsse. Dieser mit musikalischen Mitteln nicht ausdriickbare Rest schlägt in
der Hand des ungewandten Verfassers aber sogleich wieder in das »Unsagbare«
um, welches wohl in Töne, nicht aber in Begriffe eingeht. Hier stellt sich nun das
Wort von der Musik als der »geborenen Hilfskunst« ein in dem unhaltbaren Sinne,
daß die Musik eine Kunst sei, die Hilfe braucht, da »ihre Absichten und Objekte
dem Geiste durch das aufklärende Wort vermittelt werden müssen«.
Auch die sensualistische Deutung, daß die Musik die Gefühle in uns un-
mittelbar hervorrufe durch Erregung der Nerven, fehlt selbstverständlich nicht bei
Strauß, wobei noch der Begriff der Scheingefühle eine irreleitende Anwendung er-
fährt. — Mit mir persönlich setzt sich Strauß auseinander über die Bedeutung der
außerästhetischen Assoziation. So sehr ich ihm Dank weiß für die Aufmerksamkeit
und freundliche Anerkennung, die er mir und meinen Arbeiten zollt, so glaube ich
eine sachliche Auseinandersetzung doch nicht aufnehmen zu sollen, da die Vor-
bedingungen der Verständigung nicht gegeben sind. Strauß vermengt die außer-
ästhetische Assoziation mit der Vorstellungsproduktion und diese hinwiederum
mit dem Ergreifen und Verstehen des in der Vorstellung selbst gegebenen Aus-
drucksgehaltes. Sein ganzes Schriftchen gehört jener Periode an, in welcher das
Gebiet der Musikästhetik den Tummelplatz bildete für jedermann, der sich mit
Musik beschäftigt und sich darüber so seine Gedanken gemacht hat. Und über-
wunden ist diese Periode leider immer noch nicht.
Ulm.
Paul Moos.