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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Foth, Max: Die Raumillusion und die Unschärfe moderner Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0460
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Bemerkungen

Die Raumillusion und die Unschärfe moderner Bilder,
Von
Max Foth.
Ist es schon meist ein schwierig Ding, über eben erst ablaufende Kulturperioden
ein sicheres Urteil zu fällen, so ist es natürlich ein noch schwierigeres und undank-
bareres Geschäft, auf dem Gebiete der Geschichte Prophezeiungen für die Zukunft
zu erlassen. Um dies zu können, müßte man die bleibenden, wesentlichen Züge
der gegenwärtigen Entwickelungsphase säuberlich herausschälen aus der sie um-
hüllenden Menge zufälliger, oft sehr in die Augen fallender und dennoch kurz-
lebiger, untergeordneter Erscheinungen. Besonders schwer dürfte es sein, eine feste
Grundlage für die Voraussage der Entwickelung da zu gewinnen, wo die Wechsel-
wirkung der Faktoren eine so mannigfaltige, der Einschlag subjektivster, unmeßbarer
seelischer Kräfte ein so bedeutender ist, wie auf dem Gebiete der Kunst. Wenn
ich hier dennoch eine solche Prognose versuche, wenn ich mich unterfange, über
die nächste Zukunft der europäischen Malerei Vermutungen auszusprechen, so kann
ich zu meiner Rechtfertigung sagen, daß die folgenden Betrachtungen sich auf die
am leichtesten zu fassende Seite der Malerei beschränken sollen, auf die am ehesten
in unzweideutige Begriffe und Zahlen faßbare Technik der malerischen Darstellung.
Man kann sagen, daß die Geschichte der Malerei, unter einem bestimmten
Gesichtspunkt betrachtet, sich als die Geschichte der Eroberung der technischen
Hilfsmittel darstellt. Nicht bloß der materiellen Hilfsmittel, wie Pinsel, Farben, Bunt-
stift oder Malgrund, sondern ebenso der geistigen, der der Optik, der Farbenlehre,
der Geometrie entlehnten. Oder etwas anders ausgedrückt: die Geschichte der
Malerei ist eine Geschichte der allmählichen, schrittweisen Überwindung und Aus-
tilgung hartnäckiger, eingefressener Darstellungsfehler. Indem die mehr oder
weniger auf Naturnachahmung angewiesene Malerei (und Zeichnung) die drei-
dimensionale Wirklichkeit durch die Bildfläche zu ersetzen strebt, mußte sie sich
von Anfang an auf verschiedene »Entgleisungen« gefaßt machen. Da sie für ihre
Zwecke der Illusion, vor allem der Raumillusion bedarf, anderseits aber an Mitteln
unendlich ärmer ist als die nachgeahmte Natur, muß sie diesen Nachteil durch
äußerste Ausnutzung des ihr zu Gebote Stehenden wett machen. Die hierzu er-
forderlichen Beobachtungen, Entdeckungen und Entsagungen fielen ihr wahrlich
nicht leicht und sind wohl auch heute noch lange nicht abgeschlossen. Unglaublich
langsam setzt sich oft die bessere Einsicht durch. Übung und Gewohnheit, diese
Förderer und notwendigen Bedingungen eines jeden technischen Fortschrittes, werden
auf künstlerischem Gebiete ebenso oft zu Hemmnissen: die Bildung des Auges
wird zu einer Verbildung, die Fertigkeit der Hand zur Manier. Häufige Wieder-
holung subjektiv oder objektiv bedingter Fehler stumpft den kritischen Blick ab, die
Tradition wird zu rückständiger Unduldsamkeit gegen Verbesserungen, zeitgemäße
Reformen und nötig gewordene Erhöhungen des Standpunktes. Alle noch so be-
 
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