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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 4.1909

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Kreibig, Josef Klemens: Beiträge zur Psychologie des Kunstschaffens
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https://doi.org/10.11588/diglit.3531#0561
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BEITRÄGE ZUR PSYCHOLOGIE DES KUNSTSCHAFFENS.

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dazu herbeifinden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach
Belieben oder planmäßig auszudenken, und anderen in solchen Vor-
schriften mitzuteilen, die sie in Stand setzen, gleichmäßige Produkte
hervorzubringen«1). Im Hinblick auf die Kunst aber sieht sich Kant
gezwungen, sogleich auch den zweiten Faktor des Schaffens hervor-
zuheben, indem er sagt: »Um aber einen Zweck ins Werk zu richten,
dazu werden bestimmte Regeln erfordert, von denen man sich nicht
freisprechen darf . . . Das Genie kann nur reichen Stoff zu Produkten
der schönen Kunst hergeben; die Verarbeitung derselben und die Form
fordert ein durch die Schule gebildetes Talent, um einen Gebrauch
davon zu machen, der vor der Urteilskraft bestehen kann«2).
Und um jede Zweideutigkeit auszuschließen, stellt Kant zum Schlüsse
fest: »Die Gemütskräfte also, deren Vereinigung (in gewissen Verhält-
nissen) das Genie ausmachen, sind Einbildungskraft und Verstand« 3).
Scheinbar ist auch Schopenhauer einer derjenigen, die auf die er-
kennende Fähigkeit des Genies besonderes Gewicht legen. Sagt er
doch vom genialen Künstler geradezu: »Das Genie besteht darin, daß
die erkennende Fähigkeit bedeutend stärkere Entwickelung erhalten
hat, als der Dienst des Willens, zu welchem allein sie ursprünglich
entstanden ist, erfordert. Wenn der Normalmensch aus 2/3 Wille und
x/3 Intellekt besteht, so hat dagegen das Genie 2/3 Intellekt und
ljz Wille«4). Trotzdem wäre es verkehrt, • Schopenhauer etwa mit
E. A. Poe in eine Reihe zu stellen, denn was er unter der erkennen-
den Fähigkeit versteht, ist nichts anderes als eine intellektuelle An-
schauung der platonischen Ideen, die das »Allgemeine und Objektive«
sind. »Alles Urdenken«, erklärt er des näheren, »geschieht in Bildern.
Aus Begriffen hingegen entspringen die Werke des bloßen Talents,
die bloß vernünftigen Gedanken, die Nachahmungen und überhaupt
alles auf das gegenwärtige Bedürfnis und die Zeitgenossenschaft allein
Berechnete« 5). Schopenhauer hält also die Intuition als mystische

’) Kritik der Urteilskraft I. Abschnitt, § 46. An gleicher Stelle definiert Kant:
»Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt; oder, Genie
ist die angeborene Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die
Regel gibt« (§ 46). — Bei anderer Gelegenheit sagt Kant: »Genie ist die muster-
hafte Originalität der Naturgabe eines Subjekts im freien Gebrauche seines Erkennt-
nisvermögens. «
Kant unterscheidet in diesem Zusammenhänge zwischen a) mechanischer Kunst
(als bloßer Kunst des Fleißes und der Erlernung) und b) schöner Kunst (als die
des Genies).
2) Siehe Anmerkung vorige Seite.
3) a. a. O. § 49.
4) Schopenhauer, Welt als W. u. V. 2. Bd., W. W. 3. Bd., Leipzig 1817, S. 431 f.
5) Ebenda S. 433 und weiter: »Unnütz zu sein, gehört zum Charakter der Werke
 
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