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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0609
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BESPRECHUNGEN. 595

»Menschheitslied«. Hölderlin hat Dilthey ihm nicht näher gebracht: alles soll da
mit einem Mal aus der Musik erklärt werden und zwar mit völliger Verkennung
des harmonischen Aufbaus der Strophenfolgen (S. 328). Hier wie so oft rächt es sich,
daß Witkop wie so viele Ästhetiker die Form der Dichtung vernachlässigt und außer
bei den Anakreontikern (S. 146) in einem eingehenden Studium von Sprache und
Metrum beinah die als Schelte so beliebte »Sünde wider den heiligen Geist« (S. 2)
zu sehen scheint.

Aus manchem Dichterporträt des Buches sind einzelne feine Beobachtungen
anzumerken, für das »Lebensgefühl« der Bürger, Hölty, Hölderlin ist Beachtens-
wertes beigebracht. Eine Förderung, die zu dem Ton der Einleitung oder zu der
Breite des Buches in Verhältnis stände, kann der Rezensent nicht bemerken, der
gestehen muß, aus philologischen Untersuchungen wie Nadlers »Eichendorff« oder
Ricarda Huchs »Gottfried Keller« neue Erkenntnisse über das Wesen neuerer deut-
scher Lyrik geschöpft zu haben.

Berlin. Richard M. Meyer.

O.E. Lessing, Die neue Form. Ein Beitrag zum Verständnis des deutschen
Naturalismus. Dresden, Verlag von Karl Reißner, 1910. gr. 8°. IV u. 236 S.

Dieser »Beitrag zum Verständnis des deutschen Naturalismus« ist eine be-
geisterte Verherrlichung des Schaffens und Wirkens von Arno Holz. In gleicher
Weise wird er als kühner Pfadfinder der Ästhetik und als hervorragender Dichter
gefeiert. Von seiner berüchtigten Definition der Kunst sagt Lessing, es habe sie
noch niemand zu widerlegen oder durch eine bessere zu ersetzen vermocht. Ich
will mich hierbei nicht aufhalten, weil ich erst jüngst in dieser Zeitschrift meine
Ansichten über diese Fragen darlegte. (In der Besprechung von Sigmund Byt-
kowski, Gerhart Hauptmanns Naturalismus und das Drama, IV, S. 111 ff. und im
Essay »Naturalistische Kunsttheorien«, V, S. 87 ff.) So will ich mich also darauf
beschränken, einige Beispiele anzuführen, die zeigen sollen, wie Lessing Arno Holz
wertet.

Nicht Fontane, nicht Anzengruber und auch nicht Gerhart Hauptmann waren
zu Bahnbrechern und Führern berufen. »Nirgends, wohin wir auch blicken, eine
feste, in sich geschlossene Persönlichkeit, die mit starker Hand die zersplitterten
Einzelkräfte zu einem großen Ziel geleitet hätte: außer Arno Holz. Er hat damit
ein Leistung vollbracht, deren entwicklungsgeschichtliche Bedeutung heute wohl
schon zu erkennen, aber nicht abzumessen ist.« Er ist der »Vater des neuen Stils,
also auch des neuen Dramas«. Lessing liegt es nun daran, darzulegen, daß die
künstlerische Kraft seines Lieblings jene Gerhart Hauptmanns weit übertrifft. So
sollen alle Vorzüge des Hauptmannschen Erstlingswerkes »Vor Sonnenaufgang« der
Holzischen Schule entstammen, während die Schwächen teils an Hauptmann selbst
liegen, teils an seinen ausländischen Vorbildern. Die Kompagniearbeit Holz-Schlaf
»Die Familie Selicke« steht als Kunstwerk »ebensoweit über ,Vor Sonnenaufgang'
wie das ,Buch der Zeit' über dem .Promethidenlos'«. Die »Weber« werden aller-
dings gerecht gewürdigt, aber Lessing übersieht ganz die ungeheure ästhetische
Distanz, die dieses Werk von den Dramen trennt, die Arno Holz zum Verfasser
haben. Aber die »Weber« sind auch Hauptmanns einziges Werk, das Lessing gelten
läßt, darum stellt er ihn auch mit Max Halbe in eine Reihe, der »immer nur der
Dichter der Jugend' sein« wird. Wie Schlaf hat auch Hauptmann sein Bestes
»unter der unmittelbaren Nachwirkung des gemeinsamen Lehrmeisters (natürlich
Arno Holz) gegeben«. Besonders gefeiert wird die Tragödie »Sonnenfinsternis«
des »Altmeisters« Arno Holz. Ihrer Analyse sind nicht weniger als fünfzig Seiten
 
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