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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Müller-Freienfels, Richard: Neuheit und Wiederholung im ästhetischen Genießen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0073
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NEUHEIT UND WIEDERHOLUNG IM ÄSTHETISCHEN GENIESSEN. 69

fühle definieren mag, die letzten Endes stets eine subjektive Färbung
der äußeren Reizaufnahme oder außerpsychischer Funktionen sind,
so kann man doch nicht umhin, gewisse subjektive Charakterisierungen
wie die der Neuheit, der Fremdheit, des Bekanntseins, der
Dasselbigkeit usw. miteinzubeziehen. Um diese Schwierigkeit der
Terminologie zu vermeiden, hat z. B. Richard Avenarius den Begriff
des Charakters geprägt1), womit er außer den affektiven Gefühlen
(Lust-Unlust) auch eine ganze Reihe weiterer von subjektiven Charak-
terisierungen umfaßte, die er freilich durch seine umständlichen Be-
nennungen (Tautote, Heterote, Fidential, Notal usw.) selber für den
allgemeinen Gebrauch unmöglich machte, so daß sein gehaltvolles
Werk durch seinen Stil vor jedem allgemeineren Bekanntwerden besser
als durch Schloß und Riegel geschützt ist. Jedenfalls sollte man, auch
wenn man alter Gewohnheit getreu den Gefühlsbegriff nur für Lust-
Unlust festhalten will, die anderen subjektiven Färbungen nicht ganz
vernachlässigen. Ein Streit um den Namen darf hier nicht zu einer
Nichtbeachtung einer wichtigen Gruppe psychischer Zustände führen.
Wer also Anstoß daran nimmt, den Gefühlsbegriff über Lust-Unlust
hinaus auszudehnen, der möge etwa mit Avenarius »Charakter«
sagen; oder mit andern »Bewußtseinsläge«.

Von neueren Psychologen ist es besonders Wundt gewesen, der
über Lust-Unlust hinaus noch weitere Gefühlsarten unterschieden hat2).
So wertvoll es indessen war, daß er die Zustände der Spannung,
Lösung und Beruhigung noch hinzuzog, sein Schema der Drei-
dimensionalität der Gefühle hat sich doch nicht viel Anhänger erwerben
können. Am schärfsten durchgeführt ist die Mannigfaltigkeit der Ge-
fühlsformen wohl bei Theodor Lipps3), der eine außerordentlich ein-
dringende Analyse der Gefühlszustände vorgenommen hat. Er definiert
Gefühle als »Bestimmtheiten des unmittelbar erlebten Ich«. Mit Recht
macht er darauf aufmerksam, daß es sich um einen bloßen Wortstreit
handelt, wenn man statt Gefühl einen anderen Ausdruck: etwa
Bewußtseinszustand oder Bewußtseinslage einsetzen will,
obwohl man freilich solche terminologischen Schwierigkeiten nicht zu
gering einschätzen darf, besonders nicht in einer so fundamentalen
Frage wie in der vorliegenden. Lipps unterscheidet die drei Haupt-
gruppen der Gegenstandsgefühle, wo die Gefühle sich aus dem Gegen-
satz zwischen mir und dem Gegenstand ergeben, zweitens die affek-
tiven Gefühle und drittens die Bewegungsgefühle, die des Strebens

') R. Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung, II, S. 16 ff.

2) W. Wundt, Grundriß der Psychologie, 9. Aufl., S. 91 ff. und an anderen Stellen.
s) Th. Lipps, Leitfaden der Psychologie, S. 16 ff., besonders S. 249 ff., Leipzig
1903, ferner Vom Fühlen, Wollen und Denken, Leipzig 1902.
 
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