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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0147
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BESPRECHUNGEN. 143

lebendigen, also sozusagen »rundplastischen« Schauspieler seine volle Berechti-
gung.

Aber man darf dies nicht so ansehen, als sei damit das »Reliefprinzip« in die
Bühnenkunst eingeführt, vielmehr hat man sich umgekehrt dadurch gerade von der
reliefartigen Darstellung entfernt, indem gerade die Verkürzung das für das Relief
charakteristische Darstellungsmittel (für die Tiefe) ist.

Und man muß sich ferner gegenwärtig halten, daß man eben dadurch den
Anwendungsbereich der flachen Bühne einschränkt. Denn wie man im Relief durch
Verkürzungen die Illusion einer bestimmten, größeren Tiefe erzielen kann, so ähn-
lich auch auf der Bühne. Ohne dieses Mittel aber ist es schlechterdings unmög-
lich, mit einem flachen Bühnenraum den Eindruck der Größe und Weite etwa
einer mächtigen Halle hervorzurufen.

Nun genügt zwar ein kleiner Zipfel wogenden Wassers, um »das Meer« anzu-
deuten, und das Künstlertheater meint, sich mit solchen »Andeutungen« bei der
Raumdarstellung begnügen zu dürfen. Aber eben dies ist meines Erachtens ein
prinzipieller Fehler.

Wenn man sich nämlich klar macht, daß der Schauspieler auf der Bühne heute
durchaus nicht, wie teilweise noch in der Antike, als eine Art »Rezitator« (oder
»Sänger«) von Poesie, sondern — unter Oleichberechtigung von Gebärden- und
Wortsprache — als Darsteller eines Menschen durch einen Menschen auftritt, so
erkennt man, daß die Bühnenkunst nur dann einen einheitlichen Stil erhalten
kann, wenn sie sich auch in der Raumdarstellung (insonderheit soweit es sich
um den Raum des Schauspielers selbst, seinen Lebens- und Bewegungsraum
handelt) demselben Prinzip unterordnet, dem die schauspielerische Darstellung
untersteht, und daß dieses durchaus nicht das Prinzip »symbolisch andeuten-
der« Darstellung, sondern das der »Illusion« oder »Unechtheit«') ist. Denn der
»König« auf der Bühne ist eben kein »wirklicher« König, aber ein wirklicher
Mensch, der ein König »scheint«. Und solange man nicht den Schauspieler selbst
als ein zu »naturalistisches« Darstellungsmittel von der Bühne verbannt, kann man
meines Erachtens also auch nicht umhin, seine »Umgebung« so körperlich und
lebendig wie möglich zu machen; und so lange bleibt jede symbolische Andeutung
dieser Umgebung, wie sie für den Rezitator passen würde, für den Schauspieler
nur ein Notbehelf, wenn dieselbe auch den erwähnten anderen, durchaus unkünstle-
rischen Raumdarstellungsmitteln unbedingt vorzuziehen ist.

Des näheren aber läßt sich theoretisch voraussehen, daß diese Raumdarstel-
lung ebenso wie die Menschendarstellung durch den Schauspieler selbst und ähn-
lich wie auch schon jede rundplastische bildnerische Darstellung eine Hauptansicht
haben und dem Publikum zuwenden muß'). Usw.

Dann aber, wenn man über diese einfachsten Grundprinzipien im klaren ist,
beginnen allererst die Schwierigkeiten. Dann erhebt sich die Frage, wie zunächst
die akustische Wort- und die visuelle Gebärdensprache des Schauspielers überhaupt
ein gemeinsames Stilprinzip gewinnen können, ob oder in welchem Sinne dies
beispielsweise das »rhythmische« sein kann, wie G. Fuchs anzudeuten scheint. Und
danach stoßen wir neuerlich auf die Frage, wie sich dieses Prinzip dann auf die
»Umgebung« des Schauspielers, auf die Raumdarstellung übertragen läßt.

Und ich meine, wenn diese Fragen, die in den genannten Schriften noch kaum
als Probleme gefaßt werden, zuvor befriedigend gelöst würden, so würde man

') Vgl. hierzu die Ausführungen des Referenten in »Bühnenkunst und Drama«,
diese Zeitschrift VI, 373;
 
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