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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Volkelt, Johannes: Der Begriff des Stils
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0213
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V.

Der Begriff des Stils.

Von
Johannes Volkelt.

1. Durch alle Mannigfaltigkeit der Bedeutungen, die dem Worte
»Stil« gegeben werden, geht das Gemeinsame hindurch, daß darunter
eine typische Formbestimmtheit verstanden wird1). Spricht
man von Stil, so hat man immer vor Augen einerseits eine Vielheit
von Fällen, von Gliedern, überhaupt von individuellen Erscheinungen
und anderseits ein in ihnen sich gleichbleibendes Formgepräge.
Soll die Aufmerksamkeit auf den Stil gelenkt werden, so gilt es, von
den wechselnden individuellen Formunterschieden abzusehen und das
darin beharrende Formgefüge zu beachten. Mit anderen Worten:
Stil ist ein einheitliches Gepräge, Einheit der Gestaltung in der
Vielheit der individuellen Gestaltungsunterschiede.

Und zwar handelt es sich im Stil um eine Formbestimmtheit nicht
der natürlichen Wirklichkeit, sondern um eine solche an den Erzeug-
nissen der Menschen, genauer: an den Kunstwerken. Wenn man
einer wirklichen Landschaft, einer wirklichen Baumgruppe, einem wirk-
lichen Gebirgszug Stil zuspricht, wenn man sagt: die Eiche hat mehr
Stil als die Linde, der Hund mehr Stil als die Katze *), so liegt darin,
daß man die Natur wie eine Künstlerin betrachtet. Erst auf dem Um-
wege der Einfühlung künstlerischen Schaffens in die Natur kann diese
dazu kommen, das Aussehen dieses oder jenes Stilgepräges zu er-
halten. Und wenn man von einem Stil in der Kultur, in den Sitten,
in den Gebärden eines Menschen spricht, so werden dann eben
Kultur, Sitte, Gebärde vorwiegend von ihrer künstlerischen Seite an-

') Wenn Ernst Elster Bedenken trägt, den Begriff »Form« zur Definition von
Stil zu verwenden (Prinzipien der Literaturwissenschaft, 2. Bd., Halle 1911, S. 6 ff.),
so hat er dabei vor allem im Auge, daß »Form« nur die äußere Gestalt bezeichne,
»Stil« aber tief ins Innere, in die Auffassungsweise und Gestaltungskraft des Men-
schen hinabreiche. Für uns braucht dieses Bedenken nicht zu bestehen; denn zur
Grundlegung der Ästhetik, wie sie von mir versucht wurde, gehört vor allem auch
die Einsicht in die Einheit von Form und Gehalt, von Form und schaffendem
Künstlergeist.

2) Wie Köstlin richtig sagt (Ästhetik S. 949).

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. VIII. 14
 
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