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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Marcus, Hugo: Zur ästhetischen Wesensbestimmung der Landschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0115

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Bemerkungen.

Zur ästhetischen Wesensbestimmung der Landschaft.

Von

Hugo Marcus.

Geschichte wird gemacht von Persönlichkeiten. Die Persönlichkeiten der Ge-
schichte sind Individuen; denn eine jede besitzt eine Einzelseele — Seele ist immer
Einzelseele —, eine jede einen Sonderkörper und eine nur ihr gehörige, nur ein-
malige Mischung von allgemein menschlichen Eigenschaften.

Auch das Kunstwerk ist Individuum. Denn ihm fehlt zwar die Seele, die Einzel-
seele ist, aber es hat einen Sonderkörper, durch Rahmen und Sockel gekennzeichnet,
und es besteht als eine individuelle, nur einmalige Mischung allgemeiner Eigen-
schaften.

Drittens ist die Landschaft Individuum. Denn wohl fehlt ihr die Einzelseele,
und sie hat auch keinen losgelösten Sonderkörper mehr. Aber auch sie ist nichts-
destoweniger eine einmalige, nur an einem Ort so vorhandene Mischung allgemeiner
Eigenschaften. Die Landschaft vertritt die dritte und letzte mögliche Stufe des
Individuellen.

Wir sehen also einen Faden von der Geschichte zur Geographie, von der Kunst
zur Natur sich spinnen. Es ist der Faden des Individuellen. Und er geht, immer
dünner werdend, von der Geschichte über die Kunst zur landschaftlichen Natur.

Individuen kennzeichnen sich äußerlich durch den Besitz von Eigennamen. Ge-
schichtliche Gestalten, Kunstwerke und geographische Landschaften besitzen gleicher-
weise Eigennamen, weil sie Individualität besitzen. Berge, Flüsse, Städte, ja selbst
besonders markante Bäume, sogenannte Baumpersönlichkeiten, führen Eigennamen.
Im Unterschied zur Landschaft trägt das Kunstwerk freilich zwei Individualisierungs-
merkmale, nämlich Rahmen und Namen: gemäß seiner doppelten Individualisiertheit
als Sonderkörper und als spezifischer Eigenschaftenkomplex. Bei der Landschaft,
die sich nur als spezifischer Eigenschaftenkomplex individualisiert, vertritt der Name
hingegen auch den Rahmen und sorgt für örtliche Abgegrenztheit — wenigstens
begrifflich. Rahmen und Name haben ja ohnehin oft genug die gleichen Funk-
tionen. So geben beide ihrem Träger ein gewisses Relief).

Während verwandte Eigenschaften sich zu Oberbegriffen verallgemeinern, lassen
ähnliche Individuen sich zu Typen zusammenfassen. Die Geschichte hat es mit
historischen Typen zu tun, und auch in der Kunst herrschen die Typen: Typen der
Werke, der Zeiten, der Stile. Die Landschaft aber weist die Landschaftstypen auf;
bekannt sind beispielsweise die Typen der Tropen- und der Fjordlandschaft, der
Erosions- und der vulkanischen Landschaft.

') Weil Geschichte, Kunstwissenschaft und Geographie so viele Eigennamen
aufweisen, die nicht, wie die Dingbezeichnungen, immer wieder vorkommen, des-
halb findet sich der Unterricht in diesen Fächern allerdings auch so stark belastet
mit nur an einer Stelle nutzbarem Gedächtnismaterial.
 
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