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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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Groos, Karl: Das anschauliche Vorstellen beim poetischen Gleichnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0192

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IX.

Das anschauliche Vorstellen beim poetischen

Gleichnis.

Von

Karl Groos.

Seit dem Erscheinen von Theodor A. Meyers »Stilgesetz der Poesie«
(1901) ist die sogenannte »Anschaulichkeit« der dichterischen Sprache
immer mehr zu einem problematischen Begriff geworden. Man kann
sich der Erkenntnis nicht entziehen, daß sehr starke und vollkommene
poetische Wirkungen auch ohne die Erregung innerer Bilder möglich
sind. Was Schopenhauer (moderne Ergebnisse des Experiments vor-
ausnehmend) über das unanschauliche Verstehen bei dem Anhören
einer Rede oder dem Lesen eines Buches gesagt hat, das scheint auch
recht weit in das ästhetische Genießen der Dichtungen hineinzureichen:
es ist nicht nötig, ja nicht einmal erwünscht, daß sich überall »Phan-
tasmen« einmengen — welch ein »Tumult« wäre sonst in unserem
Kopfe1)! »Wer hätte die Zeit,« sagt Theodor A. Meyer (S. 56), »wenn die
Worte an ihm vorübergleiten, die gedehnte Handlung, die als einheit-
liche Tatsache in ihnen ausgesprochen ist, gewissermaßen aufzublättern
und ihre einzelnen Teile in der gebührenden Reihenfolge zu beschauen.«.
Eine ähnliche Auffassung vertritt M. Dessoir in seiner Abhandlung
»Anschauung und Beschreibung« (Arch. f. syst. Phil. X).

Auch die Lehre von der poetischen Veranschaulichung mittels des
Vergleichs ist durch diese Einsicht beeinflußt worden. So hat
Theodor Plüß in seiner Abhandlung über »Das Gleichnis in er-
zählender Dichtung« (Festschrift zur 49. Versammlung deutscher Philo-
logen und Schulmänner in Basel, 1907) die »Anschauungstheorie«
des Gleichnisses in beachtenswerter Weise bekämpft und durch eine
»Vorstellungs- oder Ideentheorie« ersetzt. Das Gleichnis ist ihm dabei
nicht bloß ein äußeres dekoratives Beiwerk ohne innere Zweckmäßig-
keit; wo die Hauptvorstellung so stark wirkt, »daß sie noch zu einem
besonderen Ausdruck drängt und wo doch ein direkter Ausdruck in
eigentlichen Worten unmöglich oder ungenügend sein würde«, da ist

') Schopenhauer, »Die Welt als Wille und Vorstellung«, § 9.
 
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