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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0085
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Besprechungen.

Julian Hirsch, Die Genesis des Ruhmes. Ein Beitrag zur Methodenlehre
der Geschichte. Leipzig 1914. 285 S.

Wir sind mit einer Anzahl großer Namen umzugehen gewohnt, ohne uns je
Rechenschaft darüber abzulegen, wie wir zu ihnen gekommen sind. Es scheint
uns selbstverständlich, daß wir Goethe für den größten deutschen Dichter, Bismarck
für unseren größten Staatsmann halten, weil sie diese Stellung vermöge ihrer
Leistung verdienen. Für die Geschichte, insbesondere für die mit Werturteilen in
ausgedehntem Maße arbeitende Kunstgeschichte, wäre es nun sehr wichtig zu er-
fahren, ob unsere konventionelle Schätzung gewisser Persönlichkeiten und Werke
wirklich nur durch sie selbst bedingt ist, oder ob vielleicht andere, fremde Faktoren
dabei bestimmend sind. Warum nennen wir Dürer den größten deutschen Maler?
Er ist es vielleicht gar nicht. Warum gilt nicht Matthias Grunewald dafür? Ist es
der Wert der Persönlichkeit und des Werkes, der über diesen Ruhm entscheidet,
oder sind es vielleicht äußerliche und zufällige Umstände? Bei Dürer z. B. die
Tatsache, daß er sein Leben lang in einer großen und berühmten Stadt gewohnt
hat, daß wir über sein Leben gut unterrichtet sind und daß fast alle seine Werke
uns vorliegen, während wir von Grünewalds Leben nichts wissen und von seinen
Werken nur ein Teil erhalten ist. Beruht der Ruhm Dürers also auf seiner »Emi-
nenz« oder auf gewissen Tendenzen der Zeitstimmung (woher zu erklären wäre,
daß er im 18. Jahrhundert nichts gegolten hat) und anderen Faktoren?

Das vorliegende Buch macht den Ruhm zum Problem. Es stellt den einfachen
und fruchtbaren Gedanken Nietzsches: »Nicht das, was der Heilige ist, sondern
das, was er in den Augen der Nichtheiligen bedeutet, gibt ihm seinen welthistori-
schen Wert« auf die Spitze und kommt dadurch zu einer Auffassung des Ruhmes,
die von der herkömmlichen beträchtlich abweicht. Hat man bisher den Ruhm
wesentlich der Eminenz des Individuums zugeschrieben, anderen Faktoren höchstens
eine Nebenrolle angewiesen, so stellt Hirsch die Eminenz an zweite Stelle, jene
vermeintlichen Nebenumstände aber an die erste. Er untersucht, wie das Urteil
über die größere oder geringere Eminenz eines Individuums zustande kommt, wo-
bei er zwischen der populären und der wissenschaftlichen Betrachtung nur quanti-
tative, nicht qualitative Unterschiede einräumt. Das Problem ist vom Objekt der
Betrachtung in ihr Subjekt verschoben. Den Hauptteil des Buches nimmt daher
das Kapitel über die ruhmerzeugenden und ruhmerweiternden Faktoren ein.

Hirsch unterscheidet zunächst zwischen dem Individuum an sich und den Er-
scheinungsformen des Individuums, d. h. zwischen der Eminenz und der durch das
Urteil der Welt entstandenen Vorstellung von ihr. Als ruhinerzeugende und ruhm-
erweiternde Faktoren kommen neben der Eminenz in Betracht: der Beruf oder der
Tod des Individuums, das Verehrungsbedürfnis der Masse, das Gemeinschaftsgefühl,
das Sensationsbedürfnis, Widerspruchsbedürfnis und Mitleid, das Konzentrations-
bedürfnis, Zeittendenzen, Beziehungen zu vorher berühmten Menschen und Werken,
Erziehung und Schule, die Tagespresse, die populärwissenschaftliche Literatur,
 
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