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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Major, Erich: Kunst und Krieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0354
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BEMERKUNGEN. 347

bärmlichkeit des Genießertums herausgerissen wird, die ein zu langer Friede
bringen muß, weil er befreit ist von allen politischen und geistigen Schrullen, die
ein zu langer unverantwortlicher Zustand mit sich bringt, und so fühlt der
Krieger sich ebenso im gewissen Sinne, wie der Schaffende, der endlich aus mäch-
tigem Erleben heraus dazukommt, zum Werke zu gehen und die Unfruchtbarkeit
rezeptiver Zeit von sich zu stoßen.

Neben der Begeisterung ist. die Verantwortung das Gemeinsame zwischen
dem künstlerisch Schaffenden und dem Krieger. So wie auf dem echten Kunstwerk
die ganze Schwere der Selbstzucht dessen ruht, der zur Ewigkeit spricht, so muß
der Krieger in höchstem Bewußtsein der Folgen handeln und mit voller Selbst-
vergessenheit dem Befehl gehorchen. Die Technik des Künstlers, die Beherrschung
des Werkzeuges, die Virtuosität, das ist der Gegenwert zu dem Drill des Kriegers,
der Verstandesschulung, den Gegenpol zu der erotisch betonten, vaterländi-
schen Begeisterung.

Keines kann ohne das andere Wert haben und zum Erfolge führen. Wer die
reinste Empfindung ohne die Hilfsmittel der Verewigung (Technik, Hochhalten
der Gesetze und Regeln bei aller Genialität, die sie vielleicht umzuschaffen oder
auszuweiten vermag), so kann auch der patriotischeste Kriegsheld nichts ohne die
Beherrschung der Kriegsmaschine, nichts ohne die Kenntnis von jedem Zähnchen
und jeder Schraube, nichts ohne die Disziplin, die wie ein Flammenschwert ge-
handhabt wird und dennoch nicht die Geniekraft gänzlich ablehnen darf, die neuen
Wein in die alten Schläuche gießt.

Ein Beispiel für die Sonderung der beiden Kräfte: Prinz Friedrich zu Homburg.
Die beiden Pole (um den einfachsten Ausdruck zu gebrauchen) sind verkörpert in
dem Prinzen und dem Kurfürsten; Homburg ist das Erotische (im Kriege und in der
Liebe), der Held, der sich über die Schranken des Gesetzes hinwegsetzt; der Kur-
fürst: der Vertreter der Verewigung »starr wie die Antike«, er ist der Mann des
Gesetzes bis zum Grausamen und Gräßlichen. Wie so oft in der Tragödie') ent-
steht nun ein wilder Kampf zwischen beiden Gewalten und — es vollzieht sich das
Wunder, daß keine siegt. Der Kurfürst sieht, durch Kottwitzens herrliche Rede
bekehrt, daß ohne das immer sich erneuernde, ohne das produktive Prinzip
der Persönlichkeit kein Sieg denkbar ist, und Homburg begreift, daß ohne die
eherne Selbstbeschränkung, ohne die freigewählte Eindämmung dieser wilden Triebe
kein Ganzes sich entwickeln kann und keine Vollendung.

So ist an diesem Beispiel am besten die geforderte Doppelnatur des Kriegs-
helden sichtbar, die in gleicher Richtung sich bewegen muß wie die doppelte
Natur des schaffenden Künstlers. Den Kopf klar und kühl wie Eis und dennoch
die heiße Glut im Herzen — das ist die Formel für beide und das Geheimnis ihrer
Siege.

Der Krieg, zu allen Zeiten Gegenstand der bildenden Kunst, sogar ein Lieb-
lingsgegenstand. Kraft, Gesundheit, Schönheit, sie vereinen sich am besten und
schwellen gleichsam über sich selbst hinaus, wenn sie in der Gestalt des Kampf-
bereiten dargestellt sind, der alle Gaben der Natur, die ihm eigen, zu verteidigen
bereit ist bis in den Tod. Da ist wieder so etwas wie Polarität zu ersehen,
weil das blühendste Leben durch diese Waffenfähigkeit in innere Verbindung ge-
bracht mit der Idee der Vernichtung.

') Siehe: Die Quellen des künstlerischen Schaffens.
 
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