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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Utitz, Emil: Vom Schaffen des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0377
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370 EMIL UTITZ.

sie die Polypenarme ihrer Methode immer weiter streckt, indem sie
ihren Grundaufstellungen neuen Stoff unterwirft, beziehungsweise ihn
durch sie schafft; und es gibt einen Fortschritt in der Wissenschaft,
- der sprungweise ist. Hier taucht aus dem chaotischen Ozean eine
Insel, und dort eine andere. Und jede Wissenschaft bedarf notwendig
dieser Sprünge. Aber sie muß auch das Gewonnene einverleiben,
gleichsam organisch einschmelzen. Man hat dies — was unsere Frage
anlangt — bisher so versucht, daß man psychologische Erklärungen
abgab über das Unbewußte, über Assoziationstätigkeit, Phantasie,
determinierende Tendenzen usw. Aber damit schob man nur das Pro-
blem aus dem Geleise der allgemeinen Kunstwissenschaft auf das der
Psychologie und bemerkte gar nicht, daß man in anderer Richtung
fuhr. Nicht ob in der »Inspiration« unbewußte Prozesse usw. mitwirken,
steht für uns in Frage — darüber müssen die Psychologen sich ver-
ständigen —, sondern ob »Inspiration« wesensnotwendig zum künst-
lerischen Schaffen gehört. Erst wenn diese und zahlreiche andere
Fragen geklärt sind, bedarf es auf den gesicherten Grundlagen der
psychologischen Arbeit, um die feineren Maschen des Gewebes zu
knüpfen. Zur Verdeutlichung ein einfaches Beispiel: welche Merk-
male zeichnen den Soldaten aus? Wenn ich zur Lösung dieser Frage
einzelne Soldaten der Reihe nach einem psychologischen Verhör unter-
werfe, so finde ich wilde Draufgänger, sorgenvoll Zagende, erbittert
Entschlossene, ängstlich Aufgeregte usw.; kurz, ganz widersprechende
Eigenschaften. Aber was soll ein Soldat? Kriegstüchtig sein. Und der
ist der eigentliche Soldat, der sich im Kriege bewährt. Aus dem
Wesen des Krieges folgt das Wesen des echten Soldaten x) und nicht
des »zufälligen«, als eines Mannes, der die Uniform trägt und das Sol-
datenhandwerk darum ausüben muß. So erhalten wir die Eigenschaften
des Mutes, der Disziplin usw. Und daran messen wir, ob einer ein
»guter« Soldat ist, ob eine Nation »soldatischen Geist« zeigt, ob eine
militärische Erziehung geeignet scheint, soldatische Tugenden zu
wecken usw. In ähnlicher Weise handelt es sich uns um die Frage:
was macht den Künstler aus? Und Künstler ist derjenige, der sich
in der Kunst bewährt, ähnlich wie der Soldat im Kriege. Kann ich
nun aus dem Wesen der Kunst so die notwendigen Eigenschaften
des Künstlers ablesen, wie aus dem des Krieges die des Soldaten?
Dann stehen wir nicht mehr vor »zufälligen« Erkenntnissen, sondern
sie sind erzeugt aus der allgemeinen Kunstwissenschaft, entsprossen
der ihr eigenen Begriffsbestimmung der Kunst, notwendige Glieder

') Auf die nahe Verwandtschaft zu E. Husserls phänomenologischer Methode
brauche ich wohl nicht erst ausdrücklich hinzuweisen.
 
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