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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Walzel, Oskar: Herbart über dichterische Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0442
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XII.

Herbart über dichterische Form.

Von
O. Walzel.

1.

In schroffer Wendung gegen die Ästhetik des deutschen Idealismus
verlangte Herbart, daß man darauf verzichte, die Idee der Schönheit
spekulativ zu deuten. Wichtigste Aufgabe der Ergründung des Schönen
sei vielmehr, die einzelnen Urverhältnisse aufzusuchen, auf denen tat-
sächlich der ästhetische Beifall ruhe.

Hegel hatte zuletzt der Anschauung des deutschen Idealismus die
einseitigste Prägung geliehen, als er in seinen Vorlesungen über Ästhetik,
die 1835 hervortraten (I, 144), die Begriffsbestimmung gab: das Schöne
sei das sinnliche Scheinen der Idee.

Ein Gegensatz tut sich da auf, der älter ist als Hegel und Herbart.
Ein Gegensatz, der in Kämpfen der schaffenden Künstler und der
theoretischen Ästhetiker heute wie längst anzutreffen ist. Der Künstler
fühlt es als Entwertung seiner Arbeit, wenn sie nicht um ihrer selbst
willen, wenn sie vollends nicht wegen der künstlerischen Formung
geschätzt wird, die aus heißem Bemühen erstanden ist, sondern wenn
hinter ihr ein höherer Wert gesucht wird, dessen sinnliche Erschei-
nung nur und zwar wie etwas Zweites und Unwichtigeres durch die
künstlerische Tätigkeit hervorgebracht wird.

Herbart war sich durchaus bewußt, daß er im Sinne der Künstler
gegen die Ästhetik des Idealismus eifere. In dem Versuch, die tiefere
innere Bedeutung des Kunstwerks zu erfassen, verspürte er die Nei-
gung, von den eigentlichen künstlerischen Zügen abzuschweifen zu
Merkmalen, die dem Kunstwerk anhaften können, aber nicht sein
Wesen bedingen. Ja, er meinte noch weiter gehen zu dürfen. Er
führte in seiner »Allgemeinen praktischen Philosophie« von 1808
— sicher nicht mit Unrecht — die Beobachtung ins Feld, daß die
Phantasie der Betrachter, statt sich dem Eindruck des Schönen hinzu-
geben, in fremde Sphären zu schweifen liebe. Voll Ironie berichtete
er von den Menschen, die ins Dichten geraten, wenn eine schöne
Landschaft sich eröffnet, und ins Schwärmen, wenn sie Musik hören.
 
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