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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Mitrovics, Julius: Das Grundproblem der ästhetischen Lust
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0465
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458 BEMERKUNGEN.

folgt daraus das unangenehmste Durcheinander, also als Endergebnis: Unlust. Dem-
nach ist die Einheit der Mannigfaltigkeit die vollständige Assimilation der neuen
Bewußtseinselemente mit den älteren.

Das Gesetz der ästhetischen Konzentration ist nur eine weitergeführte
Unterart des vorigen Satzes, nur daß hier die Konzentration, d.h. die Einheit, auf
Kosten der Mannigfaltigkeit, stärker betont wird. Aber Konzentration selbst setzt
auch Mannigfaltigkeit voraus. Deshalb verhält sich die ästhetische Konzentration
zu unserem Assimilationsprinzip so wie das Gesetz der Einheit in der Mannig-
faltigkeit.

Die Idealisierung ist eine noch weitergehende Beschränkung der Mannig-
faltigkeit. Es sind hier einzelne Elemente nicht nur stärker betont und andere um
einige Nuancen abgestumpft, sondern viel unwesentliche auch ganz weggelassen.
Natürlich: je einfacher die Konstruktion irgendeines Gegenstandes oder Geschehens
ist, desto glatter wird auch die psychische Assimilation ablaufen; in diesem Falle
tritt die ästhetische Wirkung vollständiger und rascher ein. Die Ausführung dessen,
daß das ganz Einfache den Begriff des Mannigfaltigen, folglich auch des Ästheti-
schen ausschließt, gehört nicht hierher.

Der Kontrast scheint auf den ersten Blick dem Assimilalionsprinzip zu wider-
sprechen. Weil aber auch der Kontrast die ästhetische Bedeutung des betreffenden
Teiles des ganzen Objekts hervorzuheben berufen ist, fördert er sein Verständnis,
folglich auch den Verlauf der Assimilation.

Die Anforderung an die Wahrscheinlichkeit der künstlerischen Dar-
stellung ist mit unserem Grundsatze verbunden. Darstellung soll mit jenen Vor-
stellungen übereinstimmen, die wir aus dem Kreise der künstlerisch nachgeahmten
Gegenstände schon früher gehabt haben. Wenn dieser Übereinstimmungsprozeß
nicht vollständig verlaufen kann, vermag auch die ästhetische Assimilation, d. h. die
ästhetische Lust, nicht einzutreten.

Die Lust des Wiedererkennens1) beruht auf der Assimilation neuerer
und älterer Bewußtseinselemente. Das Schönheitsgefühl wird in diesem Falle ge-
rade durch den leichten Verlauf der Verschmelzung der immanenten und neuen
Bewußtseinselemente erweckt. Der neue Impuls ruft die latenten alten Vorstellungen
vor, besser gesagt: die Ausbildung der neuen Vorstellung wird durch Dispositionen
unterstützt. Insofern dieses Wiedererkennen mit den Mitteln des Ausdruckes,
folglich individuell und auch in Begleitung von Vorstellungs- und Gefühlsassoziationen
geschieht, wird es eine Quelle ästhetischer Lust.

Aus der Reihe dieser Prinzipien können wir noch die verschiedenen Be-
ziehungen erwähnen, die wir als die Wirkung des Milieus zu betrachten
gewohnt sind. Das Milieu verursacht die bedeutendsten Unterschiede in dem
Geschmack der verschiedenen Rassen. Wir wollen hier nur auf eine sehr charak-
teristische Erscheinung hinweisen. So bleibt beispielsweise das Schönheitsideal der
menschlichen Form bei den Japanern immer ein anderes als das unsrige in Europa.
Der Grund davon ist, daß der Formbegriff bei den verschiedenen Rassen sich aus
dem verschiedensten Erfahrungsmaterial gestaltet2). Das Milieu aber drückt dem

') Man vergleiche hierzu die Ausführung Volkelts in seinem System d. Ästhetik.
I. S. 335.

') Ich habe dieses Problem ausführlicher in meiner akademischen Abhandlung
von dem Formprinzip der Ästhetik besprochen. Ich habe das Ergebnis in sechs
Punkte zusammengefaßt. Der sechste Punkt sagt, daß die schönste Form — na-
türlich immer nur in Anbetracht der Formenschönheit — die vollste Verwirklichung
 
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