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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

DOI Artikel:
Mitrovics, Julius: Das Grundproblem der ästhetischen Lust
DOI Artikel:
Panofsky, Erwin: "Das Problem des Stils in der bildenden Kunst"
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0467
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460 BEMERKUNGEN.

Teilwirkungen begegnen, die endlich in einer lusterregenden Gesamlwirkung ver-
schmelzen. Ein Beispiel hierfür bieten in der Musik, die Übergangstöne und
Akkorde. Wenn wir z. B. nach dem Dreiklang (c-e-g) des C-Dur-Akkordes dessen
Dominante (d-f-g-h) anschlagen und plötzlich aufhören, so entsteht eine Unzu-
friedenheit, die sich erst legt, wenn wir den vollen C-Dur-Akkord folgen lassen.

Für alle diese Erscheinungen verwandter Natur finden wir genügende Begrün-
dung in dem oben angeführten Grundsatz, den ich als Grundprinzip sämtlicher
ästhetischer Erscheinungen hinzustellen geneigt bin.

„Das Problem des Stils in der bildenden Kunst."

Von

Erwin Panofsky").

Am 7. Dezember 1911 hielt Heinrich Wölfflin in der Preußischen Akademie der
Wissenschaften einen Vortrag über das Problem des Stils in der bildenden Kunst;
dieser Vortrag1), in dem Wölfflins Gedanken über das allgemeinste und grund-
sätzlichste Problem der Kunstwissenschaft in systematischer und — wenigstens so-
lange die angekündigte ausführlichere Veröffentlichung noch nicht vorliegt — in
abschließender Weise formuliert sind, ist von so hoher methodischer Bedeutung,
daß es unerklärlich und ungerechtfertigt erscheinen muß, wenn weder die Kunst-
geschichte noch die Kunstphilosophie bis jetzt zu den darin ausgesprochenen An-
sichten Stellung genommen hat. Dieses nachzuholen soll im folgenden versucht
werden.

I. *

Jeder Stil — so beginnt Wölfflin — habe zweifellos einen bestimmten Aus-
drucksgehalt; im Stil der Gotik oder im Stil der italienischen Renaissance spiegele
sich eine Zeitstimmung und eine Lebensauffassung, und in der Linienführung Raf-
faels komme sein persönlicher Charakter zur Erscheinung. Aber alles das sei erst
die eine Seite dessen, was das Wesen eines Stiles ausmache; nicht nur was er
sage, sondern auch wie er es sage, sei für ihn charakteristisch: die Mittel,
deren er sich bediene, um die Funktion des Ausdrucks zu erfüllen. Daß Raffael
seine Linien so und so gestalte, sei bis zu einem gewissen Grade aus seiner inneren
Veranlagung zu erklären, daß aber jeder Künstler des 16. Jahrhunderts, heiße er
nun Raffael oder Dürer, gerade die Linie, und nicht den malerischen Fleck, als
wesentliches Ausdrucksmittel benutze, das hänge nicht mehr zusammen'mit dem,
was man Gesinnung, Geist, Temperament oder Stimmung nennen könnte, sondern
werde nur aus einer allgematfien Form des Sehens und Darstellens verständlich,
die mit irgendwelchen nach »Ausdruck« verlangenden Innerlichkeiten gar nichts
zu tun habe, und deren historische Wandlungen, unbeeinflußt von den Mutationen
des Seelischen, nur als Änderungen des Auges aufzufassen seien. — Wölfflin unter-
scheidet also zwei prinzipiell verschiedene Wurzeln des Stiles, nämlich eine psycho-
logisch bedeutungslose Anschauungsform und einen ausdrucksmäßig
interpretierbaren Stimmungsgehalt, und es ist daher ohne weiteres ein-

") »Verfasser legt Wert auf die Feststellung:, daß das Manuskript seines Artikels sich schon Anfang
Juli 1915 in den Händen der Redaktion befand.c

') Abgedruckt in den »Sitzungsberichten der Kgl. Preuß. Akad. der Wissen-
schaften« Bd. XXXI (1912), S. 572 ff. Auch als Sonderdruck erhältlich.
 
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