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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0084
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BESPRECHUNGEN. 79

weisen, daß das neuere Verhalten zur Natur ein unabgeleitetes, unmittelbareres
wäre, sondern nur, daß es dem älteren gegenüber den Gegenstand gewechselt hat.
In diesem Sinne hat schon Ludwig Friedländer in seinen Darstellungen aus der
Sittengeschichte Roms (11. Teil, 3. Aufl., 1874, S. 204 ff.) »Die Entwicklung des
Gefühls für das Romantische in der Natur im Gegensatz zum antiken Naturgefühl«
die Fragestellung fester angefaßt. Seine Untersuchung hat übrigens mit der Hennigs
so viele Berührungspunkte, daß man sich fragt, ob denn der Verfasser seinen be-
rühmten Vorgänger tatsächlich nicht gekannt habe.

Bleibt noch die Methode: Der Verfasser sucht seine Beweisstücke aus den
Dichtern zu erbringen, übrigens mit sehr viel schriftstellerischem Geschick; seine
Schrift ist eine reizende kleine Anthologie und ein gelungener Beweis für den guten
Geschmack ihres Sammlers. Aber das Verfahren läuft im Auszug und stark ver-
gröbert auf folgende Formel hinaus: Homer schreibt zwar großartig über das Meer,
aber er sagt nirgends, daß er das Meer schön finde, folglich . . . Schon W. H. Riehl
hat sich in seinen »Kulturstudien aus drei Jahrhunderten« (1859) eines ähnlichen
Fehlers schuldig gemacht. In dem Aufsatz »Das landschaftliche Auge« schließt er
aus dem Umstände, daß auf Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts oft hohe, spitze
und felsige Berge den Hintergrund ausfüllen, auf eine Vorliebe dieser Zeit für das
Hochgebirge, die dem 18. Jahrhundert z. B. völlig fremd gewesen sei. Aus der
Farbenarmut der Vasenmalerei hat man einmal auf Farbenblindheit der Griechen
schließen zu können geglaubt; neueste Kunstbestrebungen könnten einem ent-
sprechende Vermutungen in bestimmten Einzelfällen nahelegen. Und doch sind
alle solche Schlüsse aus dem, was unserer Meinung nach bei einem Künstler fehlt,
was er nicht malt, nicht sagt, belanglos oder wenigstens nicht beweisend für die
Erkenntnis dessen, was ihn bewegt, beweisend vielmehr nur für einen Zeit- ,
geschmack, für eine herrschende Mode, welche vom Künstler eben bestimmte Zu-
geständnisse und Einschränkungen verlangt: ein Opfer, das ihr meist ohne Kennt-
nis seiner Größe gebracht werden mag.

In ähnlich literarischer Weise behandelt der Verfasser im zweiten Aufsatz die
künstlerische Inspiration. Dabei nimmt er die Inspiration als etwas schlechthin
Gegebenes, dessen Wesen nicht, wie der Titel angibt, näher bestimmt, sondern als
bekannt vorausgesetzt wird: was tatsächlich untersucht wird, sind vielmehr die Um-
stände, unter denen die Inspiration eintritt. Nimmt man noch die Einschränkung
dazu, daß sich der Verfasser weder eigener Beobachtungen noch künstlicher Ver-
anstaltungen zur Klärung der Frage bedient, so kann man den Ergebnissen seiner
sammelnden und sichtenden Tätigkeit nur ein gutes Zeugnis ausstellen. Was an
Berichten über diesen Gegenstand zu erreichen war, scheint er verwertet zu haben
und wieder mit dem schon bei der vorbesprochenen Arbeit erwähnten guten Ge-
schmack gesichtet, so daß das Lesen seiner Arbeit auch für denjenigen ein an-
regendes Vergnügen ist, der nach dem Titel mehr von psychologischer Wissen-
schaft in ihr gesucht hatte. Es wäre z. B. unter anderem auch anziehend gewesen,
hätte man etwas darüber erfahren können, ob das, was durch Inspiration erfaßt
wird, ein eigenes Gesicht hat, ob es nur bestimmte Arten künstlerischer oder
wissenschaftlicher Einfälle sind, die auf diese Weise zutage gefördert werden oder
nicht, von welcher Art usw.

Der Verfasser bringt zunächst Zeugnisse dafür, daß die meisten und bedeu-
tendsten, geistig schaffenden Menschen Inspirationen haben. Die Inspirationen
kommen plötzlich, ihr Entstehen entzieht sich der Beobachtung desjenigen, der sie
erlebt und ihr Eintritt vollzieht sich ungerufen. Meist treten sie ein, wenn der
Geist durch vorhergegangene Ruhe erfrischt ist, so häufig in frühen Morgenstunden,
 
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