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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0093
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88 BESPRECHUNGEN.

Muthesius trägt hier seine — bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen be-
kannten — gesunden und gediegenen Anschauungen vor, die frei von allem Radi-
kalismus eine frische, Ware Durchdachtheit aufweisen, Vorzüge, die in ähnlicher
Weise seinen architektonischen Arbeiten eignen. Da es sich nur um Bekanntes
handelt, erübrigt sich eine ausführlichere kritische Stellungnahme. Erfreulich ist
aber, daß dieses uns Bekannte im Gewände der weit verbreiteten politischen Flug-
schriften auch in Kreise Eingang finden wird, die bisher diesen Fragen teilnahmslos
gegenüberstanden. Aber einem leichten Unbehagen muß ich doch Ausdruck geben:
Muthesius war von jeher ein Freund von Organisationen, und der Krieg hat ihn
selbstverständlich in dieser Überzeugung gekräftigt und bestärkt. Aber die Frage
bleibt doch, wie weit wir in geschmacklichen und künstlerischen Fragen organisieren
dürfen? Wird hier nicht am Ende jede straffere Organisation zu einer Vereinigung
des soliden Mittelmaßes gegen die starke Begabung, die sich den erprobten Formen
entgegenstemmt? Helfen wir da nicht einen Akademismus schaffen mit einer
offiziellen Kunst als allein gültigem Muster? Fördern wir nicht einen Erstarrungs-
prozeß, indem wir die Gegenwart für die Zukunft als Richtungsziel festlegen wollen?
Werden diese Organisationen genügend geschmeidig sein, um dem ständigen Wandel
des Kunstlebens sich anzupassen, und nicht vielmehr eine immerwährende Reibungs-
fläche und Quelle ewigen Künstlerstreites? Organisiert muß werden; aber nur
wenn man sich stets mit eindringlichster Schärfe die Gefahren vergegenwärtigt,
die von künstlerischen Organisationen drohen, und wenn man nie den ungeheuren
Schaden vergißt, den Akademien und Kunstvereine gestiftet haben, dann wird man
vielleicht die Mittel und Wege finden, um den Organisationen eine angemessene
Form zu geben. Über diese dringlichen und bedeutsamen Fragen werden gewiß
nach dem Kriege ernste Unterhandlungen beginnen; und sicherlich wird da Mu-
thesius mit seiner reichen Sachkenntnis, seinem ausgeprägten Wirklichkeitssinn und
seiner klugen Besonnenheit eine wichtige Rolle zukommen.

Schlägt uns in diesem Schriftchen die reine und starke Luft der Zukunft ent-
gegen, so atmen wir bei Matthaeis Vortrage den stickigen Dunst einer Vergangen-
heit, die unter dem Schutz des Krieges längst erledigten Forderungen ein neues
Leben einhauchen will. Ich muß gestehen, daß ich dieses kleine Buch mit einer
von Seite zu Seite wachsenden Empörung gelesen habe. Ganz abgesehen von allem
Inhaltlichen, scheint es mir grundverkehrt, gegnerische Kunstanschauungen in der
Weise zu brandmarken, daß man sie vom Kunsthandel abhängig erklärt, als deka-
dent oder antinationa! hinstellt. Glücklicherweise vertreten unsere großeii Kunst-
zeitschriften einen anderen Standpunkt und wahren damit gerade das Beste unserer
völkischen Eigenart; man lese Kriegs vortrage wie Gustav Paulis »Der Krieg und
die deutsche Kunst« (1915) oder Gustav E. Pazaureks »Patriotismus, Kunst und
Kunsthandwerk« (1914), um mit tiefer Freude zu empfinden, wie führende Kunst-
kenner gerecht und ruhig ihr Urteil abwägen, Person und Sache trennen, irrige
Kunstströmungen bekämpfen, aber nicht in ihrem Charakter verdächtigen. Und nun
will ich dem Leser einige inhaltliche Kostproben vorsetzen: Matthaei meint, daß
unsere bildende Kunst vor dem Kriege Erscheinungen aufgewiesen habe, »die man
nur als Krankheitssymptome auffassen kann. Dahin rechne ich die Äußerungen
des Expressionismus, Kubismus und des Futurismus und die steigenden Zänkereien
der Künstler untereinander, die Sezessionen und den Zerfall dieser wieder in neue
Sonderbündeleien«. Man mag darüber streiten, ob der Futurismus eine Krankheits-
erscheinung ist, aber wie kann man einfach die Sezessionen auf die gleiche Stufe
stellen! Fast alle bedeutenden Künstler der Gegenwart sind den Sezessionen ent-
wachsen. Ist vielleicht der vom Verfasser so hoch geschätzte Thoma, dessen Bilder
 
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