BEMERKUNGEN. 195
Es gibt Schriftsteller, die dem Stoff ihrer Bücher nach Moralisten sind, und die
1TO Grunde nicht moralisch, sondern ästhetisch wirken. Andere können schreiben
über was immer: sie wirken stets moralisch. Zu ihnen gehört Külpe. Sein Denken
ist getragen von einer großen ethischen Leidenschaft. In jedem Satze spürt man
die außerordentliche Kraft eines unbedingten Willens zur Wahrheit. Er geht immer
gerade auf sein Ziel los. Die Mannigfaltigkeit der Methoden war für ihn nur ein
Mittel, des Gegenstandes um so vollständiger habhaft zu werden. Die Erkenntnis
der Dinge, wie sie an sich selbst sind, war sein Ziel; »die Dinge an sich sind er-
kennbar« sein Glaubensbekenntnis. Von naivem Realismus war diese Weltanschauung
weit entfernt. Sie war eher idealistisch zu nennen, denn nicht den Sinnen, sondern
"ur der Kraft des Gedankens traute sie zu, die Wahrheit zu erreichen.
Idealist war Külpe auch in seinen Beziehungen zu den Menschen. Seine kraft-
volle, lebensreiche Natur strahlte über alles einen gewissen Glanz aus, wie er nur
von Menschen mit dem herrlichen Optimismus Külpes ausgehen kann. Über den
Menschen mehr zu sagen ist unter dem Eindruck seines unerwarteten Endes schwer.
Es sind wohl wenige mit ihm zusammengekommen, die ihn nicht liebten, und der
Persönliche Schmerz ist kein guter Schriftsteller. Eine anima Candida ist mit Külpe
von uns gegangen. Ein unablässig arbeitender ernster Mann mit der Seele eines
Kindes, voll von der Güte jener Menschen, in deren Nähe wir uns besser dünken
als wir sonst sind. Wer dieses Auge nach einer ernsten Unterredung plötzlich hat
aufleuchten sehen, aus keinem anderen Grunde als aus der Freude am geistigen
Sein, wird diesen Eindruck nie wieder vergessen.
Prag. Albin Alfred Baeumler.
II.
In der Geschichte der experimentellen Ästhetik gebührt Külpe eirfe
hervorragende Stellung. Nachdem Fechner seine grundlegenden Arbeiten über die experi-
mentelle Behandlung ästhetischer Probleme veröffentlicht hatte, erschienen zunächst
ziemlich zahlreiche experimentell-ästhetische Arbeiten, dann aber trat ein auffälliger
Stillstand ein. Es hing dies eng mit der einseitig objektiven und quanti-
tativen Richtung zusammen, welche die experimentelle Ästhetik unter dem Einfluß
Rechners eingeschlagen hatte. Fechner hatte ja allerdings ausdrücklich neben dem
•direkten«, d. h. unmittelbar vom Objekt abhängigen Faktor des ästhetischen Ein-
drucks einen »assoziativen«, von der Vorstellungstätigkeit des Subjekts abhängigen
Faktor unterschieden, in seinen eigenen experimentellen Arbeiten und erst
recht in denen seiner Schüler bzw. Nachfolger war aber der letztere erheblich zu
kurz gekommen. Die Aufgabe der experimentellen Ästhetik schien sich darauf zu
beschränken, experimentell diejenigen Objekte festzustellen, welche geeignet sind,
einen ästhetischen Eindruck hervorzurufen. Der assoziative Faktor erschien ge-
radezu als eine Variable, die nach Möglichkeit eliminiert werden mußte. Auch
hatte Fechner bei seiner Erörterung des assoziativen Faktors des ästhetischen Ein-
drucks versäumt, denselben scharf von assoziativen nichtästhetischen Faktoren
eir>es lustvollen Eindrucks zu trennen. Es schien daher oder konnte wenigstens
scheinen, als ob der assoziative Faktor des ästhetischen Eindrucks ganz oder zu
e'nem wesentlichen Teil mit solchen nichtästhetischen assoziativen Faktoren zu-
sammenfalle, also eigentlich außerhalb der Ästhetik liege. Mit der relativen Ver-
nachlässigung des assoziativen Faktors hing es denn zum Teil auch zusammen, daß
das Quantitative bei der experimentell-ästhetischen Untersuchung über Gebühr in
den Vordergrund getreten war. Der assoziative Faktor war begreiflicherweise im
Es gibt Schriftsteller, die dem Stoff ihrer Bücher nach Moralisten sind, und die
1TO Grunde nicht moralisch, sondern ästhetisch wirken. Andere können schreiben
über was immer: sie wirken stets moralisch. Zu ihnen gehört Külpe. Sein Denken
ist getragen von einer großen ethischen Leidenschaft. In jedem Satze spürt man
die außerordentliche Kraft eines unbedingten Willens zur Wahrheit. Er geht immer
gerade auf sein Ziel los. Die Mannigfaltigkeit der Methoden war für ihn nur ein
Mittel, des Gegenstandes um so vollständiger habhaft zu werden. Die Erkenntnis
der Dinge, wie sie an sich selbst sind, war sein Ziel; »die Dinge an sich sind er-
kennbar« sein Glaubensbekenntnis. Von naivem Realismus war diese Weltanschauung
weit entfernt. Sie war eher idealistisch zu nennen, denn nicht den Sinnen, sondern
"ur der Kraft des Gedankens traute sie zu, die Wahrheit zu erreichen.
Idealist war Külpe auch in seinen Beziehungen zu den Menschen. Seine kraft-
volle, lebensreiche Natur strahlte über alles einen gewissen Glanz aus, wie er nur
von Menschen mit dem herrlichen Optimismus Külpes ausgehen kann. Über den
Menschen mehr zu sagen ist unter dem Eindruck seines unerwarteten Endes schwer.
Es sind wohl wenige mit ihm zusammengekommen, die ihn nicht liebten, und der
Persönliche Schmerz ist kein guter Schriftsteller. Eine anima Candida ist mit Külpe
von uns gegangen. Ein unablässig arbeitender ernster Mann mit der Seele eines
Kindes, voll von der Güte jener Menschen, in deren Nähe wir uns besser dünken
als wir sonst sind. Wer dieses Auge nach einer ernsten Unterredung plötzlich hat
aufleuchten sehen, aus keinem anderen Grunde als aus der Freude am geistigen
Sein, wird diesen Eindruck nie wieder vergessen.
Prag. Albin Alfred Baeumler.
II.
In der Geschichte der experimentellen Ästhetik gebührt Külpe eirfe
hervorragende Stellung. Nachdem Fechner seine grundlegenden Arbeiten über die experi-
mentelle Behandlung ästhetischer Probleme veröffentlicht hatte, erschienen zunächst
ziemlich zahlreiche experimentell-ästhetische Arbeiten, dann aber trat ein auffälliger
Stillstand ein. Es hing dies eng mit der einseitig objektiven und quanti-
tativen Richtung zusammen, welche die experimentelle Ästhetik unter dem Einfluß
Rechners eingeschlagen hatte. Fechner hatte ja allerdings ausdrücklich neben dem
•direkten«, d. h. unmittelbar vom Objekt abhängigen Faktor des ästhetischen Ein-
drucks einen »assoziativen«, von der Vorstellungstätigkeit des Subjekts abhängigen
Faktor unterschieden, in seinen eigenen experimentellen Arbeiten und erst
recht in denen seiner Schüler bzw. Nachfolger war aber der letztere erheblich zu
kurz gekommen. Die Aufgabe der experimentellen Ästhetik schien sich darauf zu
beschränken, experimentell diejenigen Objekte festzustellen, welche geeignet sind,
einen ästhetischen Eindruck hervorzurufen. Der assoziative Faktor erschien ge-
radezu als eine Variable, die nach Möglichkeit eliminiert werden mußte. Auch
hatte Fechner bei seiner Erörterung des assoziativen Faktors des ästhetischen Ein-
drucks versäumt, denselben scharf von assoziativen nichtästhetischen Faktoren
eir>es lustvollen Eindrucks zu trennen. Es schien daher oder konnte wenigstens
scheinen, als ob der assoziative Faktor des ästhetischen Eindrucks ganz oder zu
e'nem wesentlichen Teil mit solchen nichtästhetischen assoziativen Faktoren zu-
sammenfalle, also eigentlich außerhalb der Ästhetik liege. Mit der relativen Ver-
nachlässigung des assoziativen Faktors hing es denn zum Teil auch zusammen, daß
das Quantitative bei der experimentell-ästhetischen Untersuchung über Gebühr in
den Vordergrund getreten war. Der assoziative Faktor war begreiflicherweise im