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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Wulff, Oskar: Kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Kunstwissenschaft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0008

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OSKAR WULFF.

brachte die lang erhoffte Zusammenfassung der Gesichtspunkte, von
denen Wölfflin in seiner Betrachtung von Kunst und Künstlern aus-
geht, — wenngleich in einer unerwarteten Beschränkung •). Ungefähr
gleichzeitig mit dem Erscheinen von Tietzes Buch habe auch ich eine
Reihe von Leitbegriffen über Wesen und Entfaltung der Darstellungs-
formen in den bildenden Künsten, wie ich sie zuletzt in einer Vor-
lesung im Wintersemester 1912/13 entwickelt hatte, auf dem Berliner
Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft vorgetragen2).
Das erregt in mir den lebhaften Wunsch, aber auch das besondere
Gefühl der Verpflichtung, mich mit der Gedankenarbeit der vorge-
nannten beiden Forscher eingehend auseinanderzusetzen. Wenn ich
nicht anders kann, als den eigenen Maßstab an sie zu legen, so bringe
ich doch den ehrlichen Willen zur Verständigung mit, der bereit ist,
fruchtbarere Begriffsbestimmungen und ihre sprachliche Bezeichnung
zum Ersatz meiner unvollkommeneren dankbar anzunehmen, — vor-
ausgesetzt, daß sie sich den für mich maßgebenden Gesichtspunkten
fügen. Klärung und Ergänzung der eigenen Anschauungen scheint die
Auseinandersetzung mit beiden Fachgenossen schon deshalb zu ver-
sprechen, weil sie von grundverschiedenen Standpunkten ausgegangen
sind und so den sprechenden Beweis liefern, wie weit die Richtungen
innerhalb des gemeinsamen Forschungsgebiets sich bereits getrennt
haben. Gleichwohl bezeichnen sie noch nicht einmal die äußersten
Gegensätze der heutigen Zeitlage unserer Wissenschaft, hält doch
der eine wie der andere an dem Begriff der Kunstgeschichte als Weg-
weiser nach ihrem Endziel fest, während die ihrer Anknüpfung an
die allgemeine Kunstwissenschaft zustrebenden Forscher, denen ich
mich zuzählen darf, ihn dem umfassenderen einer Kunstwissenschaft
(im engeren Sinne) unterordnen wollen.

In dem Oberbegriff der Kunstgeschichte legt Tietze den Nachdruck
auf den zweiten Teil des Wortes, getreu der Grundrichtung der
Wiener Schule, in der die Kunstforschung von jeher in besonders
engem Zusammenhange mit der Geschichtswissenschaft betrieben wor-
den ist. Er sucht ihm eine schärfere Ausprägung zu geben, indem er
der ersteren die Aufgabe einer »genetischen Kunstgeschichte« stellt.
Diese soll darin bestehen, die einzelnen Tatsachen, d. h. die Kunstwerke,
einem allgemeinen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhange ein-
zureihen. Ihn zu erfassen, dient der von Alois Riegl aufgestellte Be-

') H. Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilent-
wicklung in der neueren Kunst, München 1915.

2) O. Wulff, Die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung in den bildenden Künsten.
Kongreß f. Ästhet, u. allgem. Kunstwissensch., Berlin 7.-9. Oktober 1913, heraus-
gegeben vom Ortsausschuß, Stuttgart 1914, S. 330 ff.
 
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