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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0246

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240 BESPRECHUNGEN.

auf den älteren Text. Oesterreich hatte die vielleicht schwierigste Aufgabe: er
mußte die vordem wenig glückliche Darstellung der spekulativen Systeme umformen,
die schwer zu fassende Philosophie zwischen 1830 und 1870 auf feste Begriffe
bringen, und die Abschnitte über die Philosophie der Gegenwart neu schreiben.
Was möglich war, ist durch Oesterreichs Fleiß und Geschick erreicht worden —
eine Lösung des Problems ohne Rest gehört ins Reich der frommen Wünsche.

Aber nicht als frommer Wunsch, sondern als ein erfüllbarer möchte die Bitte
ausgesprochen werden, bei der nächsten Auflage der Entwicklung unseres Wissen-
schaftszweiges noch etwas mehr Raum zu gönnen. Auch für das 18. Jahrhundert
hätte vielleicht das psychologisch-ästhetische Gebiet mehr in die Mitte gerückt
werden können. Die Zukunft wird mit aller Klarheit zeigen, welche Bedeutung
die Gedankenkreise der Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft für die Philo-
sophie besitzen, für Philosophie als Wissenschaft wie als Weltanschauung; dann
wird auch das Verlangen nach stärkerer Berücksichtigung in einer Geschichte der
Philosophie erfüllt werden.

Berlin. Max Dessoir.

Karl Marbe, Die Gleichförmigkeit in der Welt. Untersuchungen zur Philo-
sophie und positiven Wissenschaft. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung
Oskar Beck, München 1916, 8". X und 422 S.
Gerade weil dieses Buch scheinbar dem Interessengebiet der Kunstwissenschaft
ferner liegt, halte ich es für richtig, die Leser dieser Zeitschrift darauf aufmerksam
zu machen. Der Vertreter der allgemeinen Kunstwissenschaft und jeder historischen
Kunstdisziplin hat es so häufig mit Wahrscheinlichkeitsschlüssen zu tun, daß ihm
eine Klärung der gesamten Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihrer
Anwendung auf die Erfahrung nur von Nutzen zu sein vermag. Erst aus der
Kenntnis der einschlägigen Probleme heraus wird er auf sicherem methodischen
Boden stehen, während sonst vieles dem persönlichen Takt und dem Zufall über-
lassen bleibt. Besonders folgende Kapitel berühren unmittelbar Fragen unserer
Disziplinen: »Die Gleichförmigkeit der Natur und Kultur«; »Die psychologischen
Untersuchungen der Gleichförmigkeit und ihre Beziehungen zu anderen Disziplinen«;
»Zur Theorie der psychischen Gleichförmigkeit«; »Gleichförmigkeit und Sprach-
wissenschaft«; »Über Gleichförmigkeit, Geschichtswissenschaften und Soziologie«;
»Zum Problem der ewigen Wiederkehr des Gleichen« usw. Jene Kunstforscher,
die hinter ähnlichen Erscheinungen immer noch lediglich Entlehnungen wittern oder
gegenseitige Abhängigkeit, werden gerade durch die Betrachtungen über Gleich-
förmigkeit wohl eines Besseren belehrt. Und daß es ein Gesetz der kleinen Zahlen
gibt — dem zufolge die seltenen Ereignisse eine bessere Übereinstimmung mit der
Wahrscheinlichkeitsrechnung zeigen als häufige Ereignisse — dürfte überhaupt den
meisten Kunstforschern neu sein. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen, scheint
mir ein nachdrücklicher Hinweis auf dieses Buch geboten, wenn ich auch selbst
nicht in der Lage bin, seine philosophische Grundeinstellung zu teilen. Um nur
ein Beispiel anzuführen, widerlegt Marbe die Kantsche a priorische Geltung des
Kausalgesetzes unter anderem mit der Bemerkung, »daß die christlichen und insbe-
sondere die katholischen Auffassungen der Gottheit dem Satz von der universellen
Bedingtheit aller Tatsachen durch andere ins Gesicht schlagen und daß es doch
kaum berechtigt ist, eine Auffassung als apriorisch bedingt anzusehen, die von
Millionen Menschen, wenn auch mit Unrecht, gar nicht geteilt wird. Auch der
Standpunkt der Indeterminiertheit der individuellen Willenshandlungen, der ja immer
noch auch von Gelehrten vertreten wird und der sogar der naiven Auffassung des
 
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