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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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Cassirer, Ernst: Goethes Pandora
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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0118
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IV.

Goethes Pandora.

Von

Ernst Cassirer.

1.

Von allen Werken Goethes scheint die »Pandora« am meisten
einer abstrakten »philosophischen« Auslegung fähig zu sein und ihrer,
zum vollen Verständnis ihres Gehalts und Aufbaus, zu bedürfen.
Selbst der zweite Teil des Faust fordert eine solche Auslegung nicht
in gleicher Stärke heraus: denn er besitzt ein ursprünglich-dichterisches
Eigenleben, eine innere künstlerische Beziehung aller Einzelelemente,
die uns immer wieder auf das eigentümliche Formgesetz der Goethe-
schen Dichtung als den wahrhaften Quellpunkt und als das eigent-
liche »Erklärungsprinzip« zurückführt. Für die Pandora indessen scheint
sich auch der individuelle dichterische Gehalt erst zu erschließen, wenn
man den allegorischen Gehalt des Werkes, der in allgemeinen Be-
griffen aussprechbar ist, sich zu eigen gemacht hat. Goethe selbst
hat die Pandora als Beispiel für den Stil seiner Altersdichtung ange-
führt, die nicht mehr unmittelbar auf »Varietät und Individualität« ziele,
sondern »mehr ins Generelle« gehe. In der inneren, wie in der äußeren
Form des Werkes tritt dieser Zug zum Generellen hervor. Nirgends
hat Goethe mit so bewußtem technischen Interesse die verschieden-
artigsten Rhythmen und Metren gemeistert wie hier; hat er eine solche
Mannigfaltigkeit poetischer Stilformen auf einen so engen Raum zu-
sammengedrängt. Aber eben in dieser vollendeten Beherrschung aller
Formen scheint zu liegen, daß keine mit dem Werk eigentümlich und
notwendig verwachsen ist, so daß sie der schlechthin einzigartige und
zwingende Ausdruck seines Empfindungsgehalts wäre. Es scheint
dieser Fülle etwas von Willkür, dieser Neugewinnung und Neubelebung
antiken Erbguts eine gewisse virtuose, halb gelehrte, halb dichterische
Absicht anzuhaften. Und noch deutlicher tritt der didaktische Zug,
den hier die Dichtung selber annimmt, hervor, wenn man auf ihren In-
halt und Grundplan hinblickt. Bestand dieser Plan — wie zumeist
angenommen wird — darin, eine Darstellung vom Werden und Wachsen
der Kultur und von ihrem Eintritt in die Menschenwelt zu geben;

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XIII. 8
 
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