Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0206
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Besprechungen.

J. Vahlen, Gesammelte philologische Schriften. I. Schriften der Wiener

Zeit 1858—74. Leipzig und Berlin 1911. VIII u. 658 S.
Derselbe, Beiträge zu Aristoteles' Poetik. Neudruck besorgt von Hermann
Schöne. Ebenda 1914. VIII u. 362.

Johannes Vahlens philologisch-kritisches Bemühen umfaßte den ganzen Umkreis
der zu seiner Zeit bekannten Literatur des Altertums; immer aus dem Vollen schöpfte
seine feine, eindringliche Erörterung, die am liebsten an einzelne zweifelhafte
Stellen anknüpften, die Überlieferung mit schonender Hand verbesserte und noch
öfter, noch förderlicher, das Überlieferte schützend erklärte. Ihm war das Griechische
keine tote, auch keine eigentlich lebende Sprache, sondern eine der feinsten und
schneidigsten Waffen des Geistes, deren Handhabung er den großen Meistern der
attischen Prosa abgelernt hatte, als wäre er einer der Ihren und wahrlich nicht der
Unbedeutendste gewesen. Kein Wunder, daß seine unermüdliche Sorgfalt und
sein immer tiefer und tiefer bohrender Drang, den kostbaren Grundtext bis in die
letzten Falten zu erhellen und selbst zwischen den Zeilen mit Sicherheit zu lesen,
vor allem jenem Werke der griechischen Philosophie zugute gekommen ist, worin
sich die menschliche Sprache ihrer eigenen Kraft, die bis in die Wahl der Laute
hineinwirkt, zum ersten Male voll bewußt wird: das ist für uns die »Poetik des
Aristoteles« — denn die einschlägigen Schriften der Sophisten sind uns nun einmal
verloren.

Dichtung ist für Aristoteles »Mimesis«, d. h. künstlerische Gestaltung in der
besonderen Form der Sprache, die Sprache aber ist ihm vorzüglich das Ausdrucks-
mittel des Gedankens. Wie Th. Gomperz in der Einleitung zu seiner Meister-
übersetzung der »Poetik«') gegenüber klassizistischen Vorurteilen über griechische
Art überzeugend dargetan hat, zeigt sich der Philosoph, den schon unser Schiller
einen Verstandesmenschen nannte, gerade hierin als echter, als »Übergrieche«; er
leitet alle Freude an der Dichtung, wie Vahlen seine Worte richtig erklärt (Beiträge
S. 9—11) aus zwei tief in der Menschennatur begründeten Ursachen her: aus dem
Nachahmungstrieb (dessen bloße Kehrseite die Freude an gelungenen Nachahmungen
ist) und aus dem angeborenen Sinn für Takt und Harmonie, worin der Sinn für
metrische Formen eingeschlossen ist — beides etwas für den Intellekt irgendwie Er-
faßbares, was durch hohen »Kunstverstand« zur Vollendung geführt werden kann.
Von Phantasie und von Gemüt aber ist, wie Gomperz zeigt, in der ganzen »Poetik«
nicht die Rede; für das Triebhafte, Spontane hat der Hellene wenig, der aufgeklärte
Sohn des späteren Griechentums gar keinen Sinn. Daher seine einseitige Bevor-
zugung der »pragmatischen« Dichtungsgattungen, des Epos und des Dramas und
ihrer Mischformen (besonders des Dithyrambus), woneben die Lyrik völlig ver-

') Aristoteles' Poetik übersetzt und eingeleitet von Theodor Gomperz. Mit
einer Abhandlung: Wahrheit und Irrtum in der Katharsis-Theorie des Aristoteles
von Alfred Freiherrn v. Berger. Leipzig, Veit & Co. 1897. 3 Mark.
 
Annotationen