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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Loewi, Otto: Über Wertung und Wirkung von Werken der bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0255
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ÜBER WERTUNG UND WIRKUNG VON WERKEN DER BILDENDEN KUNST. 251

Aufgabe steht. Wir haben es soweit als möglich vermieden, auch
die Wirkung zur Wertbeurteilung heranzuziehen, da diese
erstens etwas komplexes ist, d. h. von einer Summe außerkünst.
lerischer Momente mitabhängt, und zweitens von Subjekt zu Subjekt
wechselt und darum von vornherein keinerlei Maßstab an die Hand
zu geben scheint. Auch ist ja die Wirkung weder im Zweck noch
in;der Absicht des wahren Kunstwerks gelegen, sondern gewisser-
maßen etwas, was infolge des besonderen Wesens der Kunst sich
nebenbei einstellt oder einstellen kann; das wahre Kunstwerk bliebe
dasselbe, wenn aus äußeren Gründen die Möglichkeit der Wirkung
entfiele. Immerhin ist das, was uns zur Kunst treibt, nicht das, was
sie an sich, sondern was sie für uns ist. Und da ist es doch sehr
der Mühe wert, zu untersuchen, ob nicht — allen scheinbaren Ge-
schmacksverschiedenheiten zum Trotz — ein bestimmtes Verhältnis
zwischen Wert und Wirkung besteht, ob wir nicht die Gewißheit
haben können, daß unsere gefühlsmäßige Reaktion auf Kunstwerke
ihrer künstlerischen Größe gerecht wird.

Wie und wo aber soll man die Wirkung fassen? Offenbar dort,
wo sie eine einheitliche ist. Da kann man

1. naturgemäß nur die Wirkung auf diejenigen heranziehen, denen
die Kunst als solche Bedürfnis ist, denen die Kunst also etwas
gibt, was ihnen nichts anderes gibt; nach dem, was wir gesehen
haben, kann es nur die Befriedigung des unbewußten Bedürfnisses
nach anschaulicher Darstellung der Welt sein. Aber wenn wir so
auch den Kreis derer, die in Betracht kommen, schon erheblich ein-
engen, gehen doch noch immer innerhalb dieses Kreises die Ge-
schmacksrichtungen weit auseinander; sie sind von Individuum zu
Individuum verschieden. Einheitlicher ist

2. die Wirkung schon innerhalb gleicher Zeitperioden. Neben
und über dem Individuellen gibt es einen Zeitgeschmack, es hat mit
anderen Worten jede Zeitepoche ein bestimmt gerichtetes Anschauungs-
bedürfnis, das natürlich auch die Künstler teilen und in der Zeitkunst
zum Ausdruck bringen. Noch mehr aber als in der Zeitkunst kon-
vergiert

3. der Geschmack gegenüber der Kunst, die man als zeitlose
bezeichnet; ihr gegenüber verstummt jeder Streit der Meinungen,
denn über die Bedürfnisse der Individuen und Zeit und

4. auch der kulturell vergleichbaren Nationen hinaus wendet
sie sich an den kunstsinnigen Menschen schlechtweg und offenbart
ihm als Veranschaulichungskunst im höchsten Sinn das reine und
wahre Wesen dessen, was ihm im Leben verschleiert ist durch zu-
fällige Beimischungen.
 
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