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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Klaiber, Hans: Die lyrische Stimmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0245
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VII.

Die lyrische Stimmung.

Von

Hans Klaiber.

Die lyrische Stimmung in der Poesie ist der Gegenstand dieser
Untersuchung. Wir versuchen ihrem Wesen zuerst dadurch näherzu-
kommen, daß wir sie den anderen Künsten gegenüber abgrenzen und
dann positive Merkmale zu ihrer Beschreibung suchen. Dabei legen
wir, wie aus der Fassung des Themas zu begreifen ist, allen Nach-
druck auf die Vorgänge gerade des Gefühlslebens, während in der
Psychologie der Lyrik sonst vielfach mehr auf die Vorstellungsseite
der einschlägigen Bewußtseinsvorgänge eingegangen wird. Die Not-
wendigkeit und Bedeutung solcher Untersuchungen, wie z. B. über die
Rolle des Ich in der Lyrik oder ähnliche Fragen, soll damit in keiner
Weise bestritten werden. Die lyrische Veranlagung ist nicht auf die
Poesie beschränkt, man spricht von Lyrikern bei Dichtern, Musikern
und Malern, weniger überzeugend bei den raumbildenden Künsten der
Architektur und Plastik. In dieser allgemeinen Fassung ist Lyrik eine
Neigung zum subjektiven Gefühlsausdruck, zur Stimmungsdarstellung,
wobei es sich um Gefühle ohne Stoß- und Zugkraft auf unser prak-
tisches Wollen handelt. Wo derlei praktische Wirkungen beabsichtigt
sind, mischt sich die Tendenz in die reine Kunst ein. So nicht selten
in der vaterländischen, kriegerischen und religiösen Lyrik; doch blüht
auch auf allen drei Gebieten die tendenzfreie, reine Kunst. Eine ge-
reimte Predigt, die dogmatisch belehren oder zu sittlichem Lebens-
wandel anhalten will, ist leicht zu unterscheiden vom Gefühlserguß
einer frommen Seele, die in demütiger Hingabe an die göttliche Macht
Genüge findet, oder vom pantheistischen Hochgefühl des Sicheinsfühlens
mit dem Weltgeist. Die patriotische und kriegerische Dichtung der Befrei-
ungskriege z. B. ist vielfach mit politischen und militärischen Tendenzen
durchsetzt, die sachlich ebenso in Ansprachen, Aufrufen und Proklama-
tionen der Zeit wiederkehren. Doch hat sie auch die Töne einer ab-
sichtslosen, nur sich selbst objektivierenden Gefühlswelt gefunden, in
der opferwilligen Hingabe an das Ganze, der gläubigen Ergebung in
den Willen des Schlachtenlenkers, in der wilden Lust an Trompeten-

Zeitschr. f. Ästhetik u. all;;. Kunstwissenschaft. XV. 16
 
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