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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Zucker, Paul: Kontinuität und Diskontinuität
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0309
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IX.

Kontinuität und Diskontinuität.
Grenzprobleme der Architektur und Plastik.

Von

Paul Zucker.

I.

Der allgemeine Sprachgebrauch kennt zwar die Bezeichnungen
»senkrecht« und »wagerecht«, nicht aber eine dementsprechende für
die Richtung längs der Tiefenachse von »vorn« nach »hinten«. Schon
dies ist ein symptomatischer sprachkritischer Beleg für das Zurück-
treten der dritten Dimension im Bewußtsein und in der Bewußtheit
des normal Apperzipierenden. Wenn die Bewegung längs der Tiefen-
achse als primär festgelegt wird 1), so ist dies ein denkökonomisches
Prinzip, das vielleicht für die Erkenntnis des Raumempfindens frucht-
bar ist, keineswegs aber mit dem normalen Bewußtsein überein-
stimmt.

Die im Alltag bemerkbare Unklarheit und geringe Intensität der
Tiefenwahrnehmung folgt aus dem bereits hinreichend oft erörterten
psychologisch und sinnesphysiologisch vielfältig verwickelten Vor-
gang der binokularen und der haptischen Raumwahrnehmung sowie
des Zusammenwirkens beider. Infolge dieser Unklarheit und aus
allgemeinen stilbildenden Voraussetzungen ist auch die Funktion

>) So noch neuestens bei Spengler: »Untergang des Abendlandes«, München
1918. Dem gegenüber Schmarsows Präponderanz der Vertikale, vgl. A. Schmarsow,
»Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«. Schärfer noch in: »Raumgestaltung als
Wesen architektonischer Schöpfung«, in dieser Zeitschrift Bd. IX; ferner »Wert der
Dimension im menschlichen Raumgebilde« und seine Ausführungen in dieser
Zeitschrift Bd. XIV, Heft 2 und Bd. XV, Heft 1. Im folgenden wird mehrfach auf
Schmarsow auch ohne nochmalige besondere Zitierung Bezug genommen — aller-
dings nur insoweit, als seine Ergebnisse aus der psychologischen in das Gebiet
der eigentlichen ästhetischen Erkenntnis übernommen werden können. Das gilt
ganz besonders — außer für die Frage der Dimensionalität — für den Begriff der
Zeit, den Schmarsow auf dem Umweg über das »Schreiten« des Betrachters,
mit der bildenden Kunst in Zusammenhang bringt, während wir diese Zeit als
ästhetisch unerheblich betrachten und als ästhetischen Faktor nur die Zeit des
eigentlichen künstlerischen Erlebnisses anerkennen.

Zeiticbr. f. Ä.thettk u. allg. Kunstwissenschaft XV. 20
 
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