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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Höver, Otto: Kunstcharaktere südabendländischer Völker
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0407
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KUNSTCHARAKTERE SÜDABENDLÄNDISCHER VÖLKER. 403

Nordfrankreich, als Spätbarock in Süddeutschland. Der Barock geht
sogar noch weiter als die Gotik, in welcher immer noch ein dualisti-
scher Rest übrig bleiben mußte. Die Aufgabe des nordischen Men-
schen war von vornherein schwerer als die des südalpinen, weil im
Norden die Materie gleichsam anorganisch, transanthropomorph war.
Nordisches Künstlertum mußte den weiteren Schritt tun, vom Kristal-
linischen zum Geistigen vorzudringen, wobei die Auseinandersetzung
mit der anthropomorphen Form des Südabendländers unvermeidlich
war. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung, Gotik und deutscher
Barock, halten den weitesten Abstand vom Südabendländischen, von
antiker Klassik wie von der Renaissance. Italienischer Barock ist nur
eine Stilphase der Renaissancebewegung, ihre Endphase.

Der Schritt zum Geistigen im Norden geschieht, indem die Ma-
terie als solche in ihrer Wesenheit gewahrt bleibt, womit der Unter-
schied zum Morgenländischen gegeben ist. Die Wirkungen von Körper
und Raum bleiben immer dem Kunstmäßigen immanent, gehen nie über
den Umkreis des Ästhetischen hinaus, will heißen ein Transarchitek-
tural-Geistiges und Religiös-Symbolisches nach morgenländischer Ein-
stellung gibt es im Nordischen nicht. Der religiöse und kultliche
Zweck wird auch hier, wie in Italien und in der Antike, idealisch er-
füllt. Das Geistige ist immer aus den spezifischen Mitteln des bau-
künstlerischen Schaffens begriffen. Der Raum als solcher in seiner
Bewegtheit ist im nordischen Barock höchster geistiger Wert. Darin
liegt zugleich beschlossen, warum der Gotik immer ein dualistischer
Rest verbleiben mußte: weil sie zu ausschließlich Gliederbau war und
für sie der Raum nur eine Funktion des kristallinischen Gerüstes sein
durfte. Wie sich gotisches und barockes Schicksal vollziehen am
nordischen Menschen, am Franzosen hier und am Deutschen da, kann
ebenfalls an einer Deduktion der Begriffe Taktisch und Optisch-Körper-
haft deutlich werden, die sich dann unter dem anderen Begriff der
Bewegung vereinigen lassen. Doch das bleibt einer besonderen Arbeit
vorbehalten.
 
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