398 OTTO HÖVER.
behandlung sehr nahekommt, aber die Schrägstellung der Ourtungen,
die Wellenbewegung des Gewölbes lagen Guarini als solche scheinbar
doch mehr am Herzen als das Raumschöpferische an sich. Dieser
Barock muß mit englischer oder französischer Spätgotik zusammen ge-
nommen werden, Guarini bringt es nur zu einem style flamboyant.
Man denke auch an S. Gregorio in Messina. In Deutschland bemühen
sich die Dienzenhofer, angeregt durch Bauten Guarinis in Böhmen,
und der junge Balthasar Neumann um die Nachahmung Guarinesker
Kurven in den Gewölbegurten und entsprechender Verdrehung der
Säulen und Pfeiler. Den Dienzenhofern (Kloster Banz) war es nicht
gegeben, Guarinis Körperformkünsteleien zu überwinden, das bleibt dem
Neumann vorbehalten. Seine Raumphantasie gewinnt Macht über die
Kurven der Körperform, sie werden aus Selbstzweck zu bloßen struk-
tiven Mitteln. Im Dienste des Raumhaften höchster Ordnung verlieren
die kunstvollen Führungen von Wand und Gurtungen alle Wunder-
lichkeit, werden selbstverständlich wie hellenische Tektonik. Das
Geistige hat gesiegt über den Körper. Es ist der Weg von der Würz-
burger Schloßkapelle zu Vierzehnheiligen und Neresheim1).
Borromini, Guarini, Padre Pozzo sind alles in allem eigenwillige
Seitenzweige am eigentlichen Stamm italienischer Kunst, krause
Schnörkel wie Meissonier und die Männer der Rokokodekoration in
Paris gegenüber der antikischen Rechtgläubigkeit französischer Aka-
demiker. Nach Michelangelo wird der Tektoniker Palladio zum Wort-
halter der offiziellen Baukunst auch in Italien, und im Auslande wurde
gerade seine Art als italienisch empfunden: eine Antike gesehen durch
das Temperament, besser durch die Temperiertheit des Vicentiners.
Für das »orientalische« Venedig hatte Palladio noch die besondere
Aufgabe, die Okzidentalisierung der Architektur zu vollenden, die von
Sansovino und anderen begonnen war.
Wie in dem Cavaliere Bernini das Körpergefühl lebendig war,
zeigen seine Peterskolonnaden. Gewiß hat er den Platzraum zu meistern
verstanden, kein Klassizist hat ihn darin je begriffen, aber er meisterte
eben diesen Platzraum, indem er ihn als Körperlichkeit nahm. Darin
beruht das Geheimnis aller barocken Stadtbaukunst in Italien. Der
Raumeffekt in den hellenistischen Säulenstraßen war dagegen allzusehr
optisch. Bernini stellt das Gleichgewicht her zwischen Körpergefühl
und optischer Wirkung. Das erstere aber hat die Führung. Der
Raum wird als Ganzes plastisch vorgestellt, nicht nur die Kolonnaden
wie in der Antike. Der Klassizismus konnte dann nur noch mit dem
') Wir möchten Neumanns raumkünstlerische Begabung gerade gegenüber
einer jüngst vorgebrachten Kritik unentwegt zu höchst einschätzen!
behandlung sehr nahekommt, aber die Schrägstellung der Ourtungen,
die Wellenbewegung des Gewölbes lagen Guarini als solche scheinbar
doch mehr am Herzen als das Raumschöpferische an sich. Dieser
Barock muß mit englischer oder französischer Spätgotik zusammen ge-
nommen werden, Guarini bringt es nur zu einem style flamboyant.
Man denke auch an S. Gregorio in Messina. In Deutschland bemühen
sich die Dienzenhofer, angeregt durch Bauten Guarinis in Böhmen,
und der junge Balthasar Neumann um die Nachahmung Guarinesker
Kurven in den Gewölbegurten und entsprechender Verdrehung der
Säulen und Pfeiler. Den Dienzenhofern (Kloster Banz) war es nicht
gegeben, Guarinis Körperformkünsteleien zu überwinden, das bleibt dem
Neumann vorbehalten. Seine Raumphantasie gewinnt Macht über die
Kurven der Körperform, sie werden aus Selbstzweck zu bloßen struk-
tiven Mitteln. Im Dienste des Raumhaften höchster Ordnung verlieren
die kunstvollen Führungen von Wand und Gurtungen alle Wunder-
lichkeit, werden selbstverständlich wie hellenische Tektonik. Das
Geistige hat gesiegt über den Körper. Es ist der Weg von der Würz-
burger Schloßkapelle zu Vierzehnheiligen und Neresheim1).
Borromini, Guarini, Padre Pozzo sind alles in allem eigenwillige
Seitenzweige am eigentlichen Stamm italienischer Kunst, krause
Schnörkel wie Meissonier und die Männer der Rokokodekoration in
Paris gegenüber der antikischen Rechtgläubigkeit französischer Aka-
demiker. Nach Michelangelo wird der Tektoniker Palladio zum Wort-
halter der offiziellen Baukunst auch in Italien, und im Auslande wurde
gerade seine Art als italienisch empfunden: eine Antike gesehen durch
das Temperament, besser durch die Temperiertheit des Vicentiners.
Für das »orientalische« Venedig hatte Palladio noch die besondere
Aufgabe, die Okzidentalisierung der Architektur zu vollenden, die von
Sansovino und anderen begonnen war.
Wie in dem Cavaliere Bernini das Körpergefühl lebendig war,
zeigen seine Peterskolonnaden. Gewiß hat er den Platzraum zu meistern
verstanden, kein Klassizist hat ihn darin je begriffen, aber er meisterte
eben diesen Platzraum, indem er ihn als Körperlichkeit nahm. Darin
beruht das Geheimnis aller barocken Stadtbaukunst in Italien. Der
Raumeffekt in den hellenistischen Säulenstraßen war dagegen allzusehr
optisch. Bernini stellt das Gleichgewicht her zwischen Körpergefühl
und optischer Wirkung. Das erstere aber hat die Führung. Der
Raum wird als Ganzes plastisch vorgestellt, nicht nur die Kolonnaden
wie in der Antike. Der Klassizismus konnte dann nur noch mit dem
') Wir möchten Neumanns raumkünstlerische Begabung gerade gegenüber
einer jüngst vorgebrachten Kritik unentwegt zu höchst einschätzen!