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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Volkmann, Ludwig: Das Kunstwerk als "Wertvolle Fiktion" : ein Beitrag zur Ästhetik des "Als Ob"
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0090

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84 BEMERKUNGEN.

mit Vorliebe kategorisch nicht nur »ich sehe das so«, sondern auch »ich habe die
Natur einfach so dargestellt, wie sie ist«. Es liegt ein methodischer Fehler K. Langes
darin, daß er die zahlreichen derartigen Zeugnisse aus der Kunstgeschichte, die gewiß
niemand leugnen wird, als Beweis für seine Illusionstheorie heranzieht, während
sie doch lediglich als Belege für die Wandlungen des Sehens und der künstlerischen
Vorstellungswelt dienen können.

Greifen wir hiernach nochmals auf K. Langes Definition für Kunst (Wesen der
Kunst 2. Aufl. S. 298) zurück, welche lautet: Kunst ist die teils angeborene,
teils durch Übung erworbene Tätigkeit des Menschen, Werke zu
schaffen, die ihm selbst und anderen einen auf bewußter Selbst-
täuschung beruhenden Genuß gewähren, d. h. einen Genuß, der
aus einem fortgesetzten, das Gefühl der Freiheit erzeugenden
Wechsel zweierVorstellungsreihen hervorgeht««1), und fügen wir noch
den späteren abschließenden Satz auf Grund seiner »Ergänzungstheorie« hinzu:
»und dadurch unbewußt die Lücken des menschlichen Gefühls-
lebens ausfüllt, zur Erweiterung und Vertiefung des sinnlichen,
ethischen und intellektuellen Wesens der Menschheit beiträgt««,
so erhellt wohl ohne weiteres, warum ich Vaihingers Urteil, daß K. Langes Wesen
der Kunst »eine mustergültige Darstellung des Als Ob in der Ästhetik oder der
Ästhetik des Als Ob«« sei, nicht ganz beipflichten kann, vielmehr glaube, daß ge-
rade die vollen Konsequenzen aus der Philosophie des Als Ob
weit über K. Langes Illusionstheorie hinausführen. Der erste Teil
seiner Definition ist mir zu nichtssagend, er hört meiner Meinung nach dort auf,
wo die Kunst erst anfängt, und trifft auf Photographie oder unkünstlerische Dar-
stellungen aller Art ebenso gut zu, und der zweite Teil bezieht sich, so richtig und
schön er ist, nicht auf das ästhetische Wesen und den eigenen Wert der Kunst,
sondern auf ihre, wenn auch gewiß wertvollen, Nebenwirkungen. Indem ich Wesen
und Wert der Kunst nur im Kunstwerk selbst suche, und dabei in Vaihingers
Sinne von dem Begriff der unsere Vorstellungswelt bereichernden, wertvollen Fiktion
ausgehe, möchte ich an die Stelle von K. Langes Definition lieber etwa die folgende
gesetzt sehen:

Kunst ist die Fähigkeit besonders veranlagter Menschen, ver-
möge ihrer schöpferischen Phantasie die Ers'cheinung der Wirk-
lichkeit mittels einer »wertvollen Fiktion« klarer, einheitlicher
und tiefer aufzufassen als die anderen und diese Auffassung in
Werken zur sinnlichen Darstellung zu bringen, durch welche sie
den anderen diese ihre klarere und ti ef ere Auf f assung auf dem Wege
der Illusion (bewußtenSelbsttäuschung) übermitteln,wodurch in
diesen das Gefühl tieferen Begreifens der Erscheinungen und der
Bereicherung ihrer Vorstellungs Wi e It erzeugt und ein beglückender
und befreiender Genuß erweckt wi;rd. Damit ist das Wesen und
der Wert der Kunst in rein ästhetischer Hinsicht erschöpft; doch
erstreckt sich ihre Wirkung und somit ihr letzter Zweck auch auf
die inhaltliche Ergänzung des menschlichen Gefühlslebens und
die Vermittlung und Verbreitung ethischer und intellektueller
Werte.

') Es muß hier nach der ausführlicheren »vorläufigen«: Fassung zitiert werden,
weil die Schlußfassung den ersten Teil abkürzt und dadurch das für uns wesent-
liche nicht mehr in extenso enthält, wenn auch sachlich voraussetzt.
 
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