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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0419

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BESPRECHUNGEN. 4)3

sches (und also auch kein ästhetisches), sondern ein ku ns theoretisches
Werk und ließe sich in dieser Hinsicht vielleicht den uns bis auf ein paar Titel
verloren gegangenen kunsttheoretischen Schriften der Sophisten angliedern. Piaton
dagegen ist neben vielen sehr begreiflichen Reminiszenzen an diese fachwisse n-
Schaftliche Literatur (die ihm so gut zu Gebote stand wie dem Aristoteles, da
Sle ja ziemlich gleichzeitig mit den Werken seiner Jugend und seines Mannesalters
blühte) der Begründer einer philosophischen Ästhetik. Daß er dabei die
^ästhetische Sphäre« nicht sozusagen »in Reinkultur« herauspräparierte, sondern sie
m das Mischgebilde seines durchaus metaphysisch fundierten »ethischen Intellektua-
lismus« verflocht, hängt mit den letzten Triebkräften zusammen, die ihn selbst so
gut wie die griechische Kultur überhaupt bestimmten (vgl. darüber Vischer, Ästhetik I,
o. 38 f. — was hier gesagt ist, läßt sich auch heute noch nicht kürzer und besser
formulieren!) — daß er aber das tiefe Problem der Schönheit überhaupt gesehen
und als erster wahrhaft philosophisch gedeutet hat, kann niemand leugnen. Wie
verhält sich dazu Aristoteles ? Daß er nicht entfernt das intime Verhältnis zur Schön-
heit halte, wie sein Lehrer, läßt sich weniger aus dem Gesamtcharakter seiner Schriften
schließen (denn ein Zufall hat uns gerade von Piaton die für ein breiteres Publikum
■^stimmten künstlerisch geformten Dialoge und keine einzige Schulschrift, von Aristo-
teles dagegen umgekehrt lauter Schulschriften überliefert), als daraus, daß er weder
111 Liebe noch in Haß leidenschaftlich Stellung zu der ihn umgebenden künstlerischen
Kultur genommen hat wie Piaton. Mit diesem Paradoxon möchte ich den Satz
Gudemans (S. XIX), daß die Poetik einen »stillschweigenden Protest bildet gegen
das Verdammungsurteil, das Piaton gegen das Epos und Drama geschleudert hat«
ein'germaßen parieren. Aristoteles hat lange genug neben Piaton gelebt, um zu
wissen, welchen Wesensgründen diese »Verdammungsurteile« entstammten — ja
er hat ihre Berechtigung in mancher Hinsicht anerkannt. Die pädagogische Ten-
eilz und der gewisse »Moralismus«, durch den gerade auch seine Poetik aus-
gezeichnet ist, erinnern an das strenge Ethos des Lehrers, das sich einem heißen,
v°n Sokrates in die Schule genommenen Temperament entrungen und gegenüber-
gestellt hat. Piaton wendet sich erschüttert gegen die dämonische Wirkung des
Musikalischen »Seelenbannes«, dercpu/r/Yiuyia! Aristoteles hat wohl diesen bestrickenden
Zauber (der nicht bloß der Musik im engeren Sinne eigentümlich zu sein braucht!)
1Icht so »hingerissen«,. nicht so »gänzlich ihm verloren« gefühlt wie Piaton —
Und dennoch klingen die nach einem intellektuaiistischen Halt, nach einer irgendwie
'heoretischen Gebundenheit ringenden »Maximen« seines Lehrers in manchen Stellen
der Poetik nach, wie z.B. cap. XVII, 2, wo es (nach der durch die syrisch-arabi-
sche Quelle wahrscheinlich endgültig richtiggestellten Übersetzung Gudemans) heißt:
"Uie Dichtkunst ist vielmehr Sache eines Hochbegabten als eines Besessenen,
denn jene sind reichlich bildsam, diese aber außer Rand und Band.« Nein: die
l °etik des Aristoteles ist kein Protest gegen Plato, sondern die
'utellektualistisch-pädagogischen Forderungen, die Plato an die
Kunst stellte, denen aber der leidenschaftliche Künstlerdämon im
e' g e n e n Busen teilweise widersprach, werden vielmehr von dem
"Uchternen Aristoteles vorausgesetzt und theoretisch zergliedert1).

') Selbst die Lehre von der Katharsis ist kein »Protest« gegen Plato, sondern
nur (Wie sicn Finsler in seinem Buch S. 120 ganz richtig ausdrückt) eine »Antwort«,
a- n. die theoretische Sanktionierung eines Affektenkomplexes, demgegenüber Plato
Inenschlich nicht die nötige Distanz aufbrachte — mit Platonischen Denk-
Mitteln unter Verwendung eines nach neueren Forschungen (vgl. Howald, »Eine
 
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