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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0420

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414 BESPRECHUNGEN.

Diese Zergliederung selbst geschieht vorzüglich am Beispiel der Tragödie und ist
eine fachwissenschaftliche, eine kunstth eoretische Leistung. Im philosophi-
schen Sinne »ästhetische« Hinweise finden sich ab und zu verstreut; die Ein-
leitung der Poetik (cap. I—VI) stellt das Wesentlichste dar, was uns von einer
Ästhetik des Aristoteles geblieben ist.

Welch ein dürftiger Text! Und diesen knappen, notizenhaft hingeworfenen Sätzen
gegenüber, die nur mit der allergrößten Vorsicht durch über das ganze übrige Werk
des Aristoteles vereinzelt verstreute Bemerkungen ergänzt werden dürfen, werden
noch dazu zwei ganz verschiedene Einstellungen möglich sein. Nämlich: weil sie
in der Tat die eigentliche »Ästhetik« des Philosophen enthalten, deshalb kann das
Herauswachsen der Aristotelischen Gedanken aus der Platonischen Philosophie
(nicht aus seinen kunstwissenschaftlichen gleichfalls durch das ganze Plato-
nische Werk verstreuten Ansichten und Lehrmeinungen) an ihnen aufgezeigt werden —
man kann und soll aber auch unter dem Gesichtswinkel des ganz spezifischen
Aristotelismus (als dessen Ausfluß die f ach wissenschaf tl ichen Erörte-
rungen gleichfalls nur in einem sehr indirekten Sinne bezeichnet werden dürfen,
wiewohl freilich bei Aristoteles ein ungleich innigerer Zusammenhang zwischen
einzehvissenschaftlicher und philosophischer Betrachtung besteht wie bei Piaton)
bereits an der Einführung der grundlegenden Begriffe (wie z. B. die Mimesis einer
ist) nachweisen, ein welch verschiedener Geist die gedanklichen Bestrebungen beidei
Denker von Anfang an leitet. Die erste (mehr historisch-genetische) Aufgabe hat
meines Erachtens Finsler in einer bei der Dürftigkeit des Materials natürlich jedes
Wort in Erwägung ziehenden Weise zu lösen versucht, wobei der Wert seiner ein-
zelnen Ausführungen nur insofern angezweifelt werden kann, als wir es eben über-
haupt nur mit einem fragmentarischen Konzept, nicht aber mit einem durchgearbei-
teten und von Aristoteles selbst zur Veröffentlichung bestimmten eigentlichen »Buch«
zu tun haben. Die zweite (mehr systematisch-kritische) Aufgabe scheint Gudeman
vorzuschweben. Mit Scharfblick erspäht er die Schwächen Finslers, die ich sämtlich
darauf zurückführen möchte, daß Finsler immer und immer wieder sich dazu ver-
leiten läßt, die Grenzen seiner ganz spezifischen Aufgabe zu überschreiten und aus
der -historisch-genetischen Betrachtung der an sich spärlichen Reste, die uns von
dem Ästhetiker Aristoteles überliefert sind, Schlüsse auf den Systematiker Aristo-
teles als solchen zu ziehen. Schon allein der Begriff des »Bildens« (rcoieiv), °en
Aristoteles in umfassender Weise ausgebildet hat, mußte ihn nämlich sehr wohl in-
stand gesetzt haben, eine gegenüber der Platonischen originell zu nennende Ästhet'"
seinem System einzubauen — und es gelingt vielleicht noch einmal, diese Ästhet'"
(die es »für sich« für Aristoteles so wenig geben konnte wie für Piaton) aus dem
Aristotelischen Lehrgebäude heraus mit den Mitteln einer Analyse aufzubauen, die
(was erst seit Kant möglich ist) den ganz spezifischen Unterschied einer unter dem
Wertwinkel der Wahrheit urteilsmäßig aufgebauten »theoretischen Sphäre« von de
unter dem Wertwinkel der Schönheit auf eine ganz andere Weise mehr auf geschaute'
als aufgebauten atheoretischen »ästhetischen Sphäre« erkannt und philosophiscn-
systematisch begründet hat. Die so gewonnene Ästhetik wird ein spezifisch Aristo
telisches Gepräge tragen und sich von der (in ähnlicher Weise »für sich« herau
zustellenden) Platonischen Ästhetik weltanschaulich-fundamental unterscheiden.

Dieser, wie ich der Ansicht bin, spezifisch-philosophische Standpunkt Iie8
natürlich Gudeman ebenso ferne wie Finsler, und dies ist auch gar kein UngluC

vorplatonische Kunsttheorie«, Hermes 1919, S. 187 ff.) wahrscheinlich mit der Pytha-
goräischen Musiktheorie im Zusammenhang stehenden Terminus.
 
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