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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0103

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BESPRECHUNGEN.

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des scheinbar Unerkennbaren. Paul Bekker ist ein solcher Erkenntnissuchender.
War die bisherige Betrachtung Wagnerscher Kunst unfruchtbar, so war der Maß-
stab unbrauchbar, mit dem sie gemessen, der Blickpunkt verfehlt, aus dem sie ge-
sehen wurde. Und mit genialem Griffe kehrte Bekker den Maßstab um, verließ er
den Blickpunkt, aus dem ein halbes Jahrhundert Richard Wagner gesehen hatte:
nicht Kunst um des Lebens, sondern Leben um der Kunst willen, nicht Theater um
des Dramas, sondern Drama um des Theaters willen, nicht musikalisch vertiefte
Handlung, sondern handlungsmäßig symbolisierte Musik, — diese Umwertung
Wagnerscher Kunst vollbrachte das Großartige, das einst unter mühevollen Kon-
struktionen angestrebt wurde: Wagner wurde faßbar! Das mimische Genie wurde
entdeckt als elementare Wurzel dieser vielfarbig schillernden Künstlererscheinung.
Wagner wurde erkannt als der große Ausdruckskünstler, der im Verlangen nach
höchster Deutlichkeit der künstlerischen Mitteilung zum Theater strebt, aus dem er
wächst, in dem er sein Dasein allein begreift, für das er sein ganzes Leben einsetzt,
— aus dem er darum allein zu verstehen und durch das er einzig zu werten ist.

Mögen sich in dem weit verzweigten Gedankengehalte des Bekkerschen Werkes
problematische Punkte finden, — dieser Grundgedanke bleibt unangetastet; er beweist
sich durch seine Fruchtbarkeit. Wir erblicken in seiner Konzeption und seiner unge-
ahnt aufschlußreichen Anwendung auf die Gesamtheit der Wagnerschen Kundgebungen
eine Tat Bekkers, die man anerkennen oder ablehnen mag, ohne ihr dadurch die Wir-
kung nehmen zu können, die allem Genialen beschieden ist.

Hamburg. Rolf Grundner.

Julius Petersen, Die Entstehung der Eckermannschen Gespräche
und ihre Glaubwürdigkeit. 2. verm., verb. Aufl. M. Diesterweg, Frank-
furt a. M. 1925. 174 S. Deutsche Forschungen, herausgeg. von Fr. Panzer u.
J. Petersen. Heft 2.

Der Leser der Zeitschrift für Ästhetik, wie Referent sich seinen Typus vorstellt,
wird sich auch bei literargeschichtlichem Sonderinteresse durch die Problemstellung
dieses Buches von der Lektüre zunächst eher abschrecken lassen als zu ihr ver-
locken. Wenn schon hier für die Kunsttheorie sicher nichts abfallen kann, so ver-
mutlich auch nichts, das sich irgendwie als »geistesgeschichtlich« ausgeben dürfte,
weder in einer Gestalt, noch in einem Mythus, noch in einer Entwicklung von Ideen.
Aber dafür ist ein Buch wie dies, wie bescheiden zurückhaltend es auftreten mag,
heute eine geistesgeschichtliche Notwendigkeit in sich selbst und hat eine erziehe-
rische Mission. Ein Musterbeispiel philologischer Kritik an einem Einzelwerk richtet
hier mit der umstürzenden Bedeutung, der Neuheit, der Schärfe und Geschlossenheit
seiner Ergebnisse im philologischen Verstände eine Mahnung an die unbändige
Lust zur Synthese zumal unter den Jüngeren und Jüngsten des Fachs: daß sie sich
des tragenden und nährenden Grundes auch aller Synthese bewußter würden, der
Verantwortung vor dem Einzelwerk, die heute so erschreckend geschwunden ist, da
man allzu leicht über ganze Richtungen, Perioden, Stile hinweg Begriffe konstruiert
und »schaut« und »erlebt«. Gerät nicht das hohe und luftige Gebäude unserer
neuesten Goethedeutung und -dichtung ins Wanken, wenn die Fundamente der
Goetheüberlieferung sich verschieben und Risse bekommen? — Aus Eckermanns
Gesprächen hat das 19. Jahrhundert das Bild des Olympiers Goethe empfangen mehr
als aus der Altersdichtung und der Altersweisheit Goethes selbst, und man hat sich
in weiteren Kreisen daran gewöhnt, das Gesprächbuch als Offenbarung, als Werk
Goethes zu verstehen, mochte auch die engere Fachwissenschaft, je mehr sie die
Tagebücher Goethes vergleichend heranzog, immer wieder im einzelnen zu Richtig-
 
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