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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Strich, Fritz: Symbol in der Wortkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0368

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356

HERMANN PONGS.

liehen Verhalten des Dichters zum Sinn seiner Gebilde;
»Sinn« verstanden als die immer durchleuchtende Beziehung zu einem
oberen Leitenden. Seinen besonders gemäßen Ausdruck findet das
symbolische Verhalten als Haltung der Erfahrenheit in der Alterslyrik,
in der Epik, gekennzeichnet durch die besondere Pflege des symbol-
kräftigen »Motivs«, Motiv verstanden als Stoffgegebenheit mit Eigen-
antrieben, deren innewohnender Sinn dem Sinnerlebnis des Dichters
begegnet.

Von dieser Einstellung her sind Dichtungsphänomene wie der
Sturm und Drang nicht symbolisch. Auch Strich entzieht die Ausdrucks-
kunst des Sturms und Drangs dem Umkreis des Symbols. Die Folge-
rung nur wird nicht gezogen, daß sich eine ursprüngliche Bildschaffung
des Gefühls wie im Sturm und Drang als selbständiges »urbildendes«
Vermögen dem sinnbildenden zur Seite stellt, wie sich beide schon
auf den Frühstufen morphologischer Entwicklung aufweisen lassen l).
Diese Doppelheit berührt sich mit Cassirers Scheidung der Sprache
nach Ausdrucks- und Darstellungsfunktion.

Das exemplarische Beispiel eines Übergangs vom Urbilden zum
Sinnbilden zeigt Goethes Weimarer Dichtung, bis sie in ,der Klassik
zur bewußten Symbolschöpfung wird, ohne doch die ständige Ver-
bundenheit mit den urtümlichen Ausdruckskräften aufzugeben. Die
Kategorie der »Repräsentation«, die Strich einführt als Zusammenfall
von Einheit und Fülle im Typus, der zugleich »ist« und »bedeutet«,
umfaßt zuviel und zuwenig. Im Bildhaft-Repräsentativen weist sie auf
das klassizistische Formideal griechischer Plastik — das die Klassik
nur begrenzt umfaßt; wiederum lenkt sie jede Interpretation zwangs-
läufig aufs Ideenhafte hin und wird dem schöpferischen Symbolursprung,
dem Offenbarungswert individuellen Sinnerlebens nicht gerecht2). So
wird von dieser Kategorie nicht getroffen die eigentümlichste Symbol-
leistung der deutschen Klassik: im Zurückdringen in die mythische
Schicht Sinnerlebnisse zu formen, in denen die Urschauer des Religiösen
unvermindert wirken, wie in Iphigeniens »Parzenlied«, in der »Braut
von Korinth«, in »Gott und Bajadere«. Und wenn Goethe in seinem
Altersstil frei schaltet mit Bildern Bettinens, Gleichnissen des Hafis,
Liedern Marianne von Willemers, im Aufheben der individuellen Grenzen
von Mein und Dein, um dem Urphänomen nahezukommen, so ist diese
Selbst-Repräsentation doch nicht unter die Strichsche Kategorie zu
bringen, weil sich hinter dieser Symbolik unerschöpfter mystischer

>) Pongs, Das Bild in der Dichtung. I. 1927, S. 88, 95, 103, 139.
2) Hierzu wäre die genaue Interpretation von Goethes Sprüche; in Prosa 273
lehrreich.
 
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