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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Schering, Arnold: Symbol in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0393

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SYMBOL IN DER MUSIK.

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ständlich ist, beruht eben darauf, daß mit dem Wandel der Tonsysteme,
d. h. mit dem Wandel der Grundsätze, nach denen die musikalisch
brauchbaren Töne einem vernunftgemäßen Zusammenhang eingeordnet
werden, auch der Schlüssel für einen zum mindesten sehr großen
Teil der zeitgebundenen Symbolik verloren geht. Nur unter günstigen
Bedingungen kann es glücken, — wenn wir an die Palestrina-, an
die Bachrenaissance des 19. Jahrhunderts, an die immer mehr er-
wachende Sympathie für die Musik des Mittelalters denken, — durch
philologische, kulturgeschichtliche und stilkritische Arbeit einen Teil
dieser verlorengegangenen alten Symbolwelt doch wieder zu erschließen
und auf Grund einer dadurch geschaffenen neuen Aufnahmedisposition
der betreffenden Musik den Weg zu unserer Seele zurückzubahnen.
Daß Nichtwissen um alte Symbole Gleichgültigkeit und Unverständnis
erzeugt, beweist als Beispiel für viele gerade das Schicksal der Bach-
schen Werke nach seinem Tode. Die Geschichte der Wiederbelebung
Bachs im 19. Jahrhundert läuft parallel der Wiederentdeckung der
musikalischen Symbolik der Barockzeit, und es ist von hohem Interesse
zu sehen, wie die verflossenen vier Generationen seit Forkel und
Mendelssohn über Robert Franz und Philipp Spitta hinweg bis A. Pirro
und Albert Schweitzer jede in ihrer Art versucht haben, sich mit dieser
Symbolik auseinanderzusetzen, und wie wir heute darnach ringen, sie
unsererseits noch schärfer und eindeutiger zu fassen.

Auch in der Musik ist das Symbolische im engeren Sinne vom
Hinzutreten von Bedeutungs Vorstellungen abhängig. Oder besser: sie wird
durch solche überhaupt erst vermittelt. Ich kann Volkelt nicht beipflichten,
wenn er (I, 169) bei der Musik vom »Typ der fehlenden Vorstellung«
spricht, d. h. daß sich Bedeutungsgefühle wie »ernst« oder »traurig«
unmittelbar, ohne Vermittlung von Bedeutungsvorstellungen an die
erklingenden Töne anschließen. Vielmehr: ohne noch so schwache
Bedeutungsvorstellungen, z. B. von menschlichen Lautbildern, Natur-
lauten und ähnlichem, die uns durch das musikalische Erfahrungs-
wissen, durch Bildung und Übung zukommen, wird der Hörer niemals
zum Erfassen auch solcher Tongebilde kommen. Dies leugnen, hieße
eine Art Rauschzustand beim Hörer als normal erklären, einen Zustand,
der unter Umständen manchmal erfreulich, auch wohl beglückend sein
kann, aber doch für die Entscheidung der Frage nach der zuständ-
lichen Symbolik nicht mitspricht.

Jedes Element der Musik, sei es, welches es wolle, ob Rhythmus,
Zeitmaß, Dynamik, Klangfarbe, Tonart, Melodie, Harmonie, kann zum
Träger eines Symbolischen erhoben werden, denn jedes reicht als ein
Sinnliches hinab in die Tiefen unseres physischen und seelischen
Lebens und ist infolgedessen einer höheren Deutung zugänglich.
 
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