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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0093
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Besprechungen.

H. Otte, Neue Beiträge zur aristotelischen Begriffsbestim-
mung der Tragödie. Berlin 1928. Weidmannsche Buchhandlung.

Der Verf. nimmt die Ergebnisse seiner älteren Schrift „Kennt Aristoteles die
sogenannte tragische Katharsis?" (im gleichen Verlage erschienen 1912) wieder auf,
verteidigt sie gegen seine Kritiker und sucht sie mit neuen Beweisen zu stützen.
Gegenüber der allgemein üblichen Auffassung, wonach Aristoteles mit den berühm-
ten Worten über die Katharsis die Wirkung (und zwar hauptsächlich die ethische
Wirkung) der Tragödie habe kennzeichnen, wohl auch die Dichtungsgattung gegen
die Vorwürfe Piatons habe in Schutz nehmen wollen, vor allem auch gegen die
heute fast allgemein anerkannte Deutung der Katharsis durch J. Bernays (im
Sinne einer „homöopathischen Kur") vertritt Otte die Deutung des schwierigen
Wortes auf die „künstlerische Gestaltung" der tragischen Handlung.

Wie sich Otte diese Wirkung vorstellt, zeigt am besten seine Umschreibung
(S. 10 der neuen Schrift): „Die Tragödie ist diejenige künstlerische Gestaltung
einer ernsten und abgeschlossenen Handlung von einer gewissen Ausdehnung,
welche in verschönter Sprache, und zwar einer besonderen in den einzelnen Teilen,
Personen handeln läßt, nicht bloß berichtet und durch Mitleid und Furcht die Reini-
gung solcher Geschehnisse zustande bringt"; diese Reinigung aber bestehe vor
allem darin, daß „die leidvollen Geschehnisse des Stückes, die Mitleid und Furcht
erregt haben, sich mit innerer Notwendigkeit entwickeln"; die der Tragödie eigene
Lust (olxda fidow/j) werde gewonnen durch die künstlerische Gestaltung des Stoffes
(dtä ßifjii)ascog) aus den Gefühlen eXsog und (pößog heraus (S. 74 ebenda). Also
nichts von Milderung, nichts von „Befreiung", nichts von „Entladung"., Otte beruft
sich auf S. Vahlens Interpretation: „Die tragische und vollkommenste Komposition
der Tragödie ist die, welche die Furcht und Mitleid erregende Wirkung am vollsten
und reinsten durchzusetzen vermag; dem Publikum ist nicht jene gewaltige affekt-
aufrüttelnde Wirkung die angenehmste, im Gegenteil ist ihm eine mindere Erregung
der Affekte willkommener." (Beiträge z. Poetik, H. II.)

Auch damit kommen wir natürlich auf die „Wirkung", aber freilich auf eine rein
ästhetische Wirkung, auf die dramatische Ablösung der dargestellten Handlung von
der Wirklichkeit, auf ihre völlige Durchdringung mit den Elementen^soc r.ai q?6ßog.
Und insofern diese angesichts der tragischen Handlung gleichsam in ihrer reinsten
Form empfunden werden; insofern das unzweifelhafte Bedürfnis der Menschennatur
nach dem vollen Erlebnis auch dieser peinlichen Affekte hier in der edelsten, die
ganze Menschlichkeit ergreifenden und durchfärbenden Weise befriedigt wird, kommt
sogar wieder die ethische Wirkung zu ihrem Rechte; aber freilich auch nur inso-
fern, als das sittliche Leben, seines sachlichen Ernstes und seiner eigentümlichen
empirischen Verflochtenheit entkleidet, an die Grundlagen des Menschlichen rührt
und damit reif wird zur ästhetischen Betrachtung und Gestaltung. Diese Erhebung
in die eigentlich dichterische Sphäre vorausgesetzt, würden wir uns sogar, vom
Standpunkt der neuen Theorie aus, die Deutungen von Bernays und noch lieber von
 
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