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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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Bramsted, Ernest Kohn: Zur Typenlehre des Epikers: über Thomas Mann und Jakob Wassermann
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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0150
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II.

Zur Typenlehre des Epikers.

Über Thomas Mann und Jakob Wassermann.

Von

Ernst Kohn-Bramstedt.

In dieser Zeit der allgemeinen Krisen sind auch die klassischen Kate-
gorien der Literaturbetrachtung ins Wanken geraten. Was bedeuten uns
denn noch die Schillerschen Antipoden „naiv-sentimental", was die
romantischen „klassisch-subjektiv"? Eine naive, den Dingen ganz ohne
bewußte Zutat spontan hingegebene Dichtung und Romankunst ist dem
Zeitalter der bewußten Sachlichkeit nicht minder unentsprechend wie
etwa das Pathos einer „Jungfrau von Orleans". Daher muß die Lite-
raturbetrachtung, die mit der überkommenen Literaturhistorie nicht ver-
wechselt werden darf, an den Stoffen und an der Sehweise der Künstler
sich neue, für die heutige Situation wesentlichere Grundbegriffe erarbei-
ten. Diese Kategorien aber müssen induktiv aus und an den Werken
selbst gewonnen werden. Schon hat auf dem Wege der Neuorientierung
Fritz Strich1) mit seiner hellsichtigen Scheidung zwischen der
Kunst der Unendlichkeit und der Kunst der Vollendung Wesentliches
geleistet. Seine entscheidende Teilung geht auf zwei sehr verschiedene
künstlerische Seinswesen zurück: entweder ist das Dasein des Künstlers
durch die Jagd nach dem Unendlichen der Sehnsucht, des Glaubens, der
Liebe zentral bestimmt, dann sind seine Werke Fragmente, Bruchstücke
einer Konfession, von denen jedes das letzte rasch hinter sich zurückläßt
(Beispiel: Novalis); oder aber, sein Leben findet das Gesetz im Bereich
der Erde, sucht mit wohlabgemessener Selbstbeschränkung hienieden
Dasein und Werk zu vollenden — dann hat das Werk Rieht- und Meß-
punkt in sich selbst und muß aus der Logik des im Unendlichen ruhen-
den Kreises, nicht aus der des im Unendlichen sich bewegenden Pfeiles
verstanden werden. (Beispiel: Goethe, Keller.)

So überraschend viel nun aber dieser Gegensatz für das Verständnis
der deutschen Klassik und Romantik bedeutet, so wenig kann er für die
Dichtung, für den Roman der Gegenwart besagen. Betrachtet man näm-

i) Deutsche Klassik und Romantik 1922.
 
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