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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0082
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66

BESPRECHUNGEN.

In der Verkoppelung der Ganzheitslehre mit der Entwicklungslehre liegt über-
haupt ein kennzeichnendes Merkmal der Kruegerschen Psychologie. Als einen
Vorzug betrachte ich, daß die Selbstwertigkeit organisierter Gebilde — wenigstens
bis zu einem gewissen Grade — anerkannt wird. Auch Köhler gibt zu, daß Ge-
stalten sozusagen ihren eigenen Willen haben. Aber Köhler spricht nicht deutlich
genug aus, daß dies etwas durchaus Objektives ist, mit dessen Forderungen sich das
Seelische seinerseits abzufinden hat. Tatsächlich ist die ganzhafte Betrachtungsweise
zuerst am Gegenständlichen geübt und erst dann auf das Bewußtsein übertragen
worden. Die Grundlage wurde von Aristoteles gelegt. Später hat allerdings der
deutsche Geist diese Denkungsart zur Vollkommenheit gebracht, weil jeder deutsche
Philosoph auch nur von der geringsten Bedeutung den Gedanken an das göttliche
Ganze in sich trug. Folgt man dem Aufbau unserer Philosophie, so bemerkt man
von Gelenk zu Gelenk ein Hervortreten religiöser Motive, und diese sind ohne
Ganzheitsvorstellung nicht möglich. Doch bleibt fraglich, ob das ganzhafte Denken,
siegreich auf der Linie der Metaphysik, in der Einzelwissenschaft dem stückhaften
Denken aller Wege überlegen ist. Wenn Krueger eine „Dominanz des Ganzen" damit
begründet: das Erlebnisganze sei deutlicher als seine Teile, und seine Beachtung
hemme die gesonderte Auffassung der Teile, so muß einschränkend bemerkt wer-
den, daß unter gewissen Bedingungen die Teile deutlicher sind und deren Beachtung
nunmehr das Erlebnis der Ganzheit zurückdrängt. Gerade in dem vorliegenden Buch
wird von Sander gezeigt, daß eine zergliedernde „Einstellung" dazu führt, die
Gesamtfarbe eines Komplexes zu vernachlässigen; auch Krueger selber hat das oft
betont. Aber ist das in der Wissenschaft, zumal in der Psychologie, unbedingt ein
Fehler? Ich sollte meinen, daß die Analyse Außerordentliches geleistet hat.

Die im Bewußtsein auftretenden „Gestalten" stehen in ihrer Abgegrenztheit und
Gegliedertheit zwischen reiner Stückhaftigkeit und diffuser Ganzheitlichkeit. Es
finden sich also in der Seele — nach Krueger — einerseits zusammenhangslose Teil-
gegebenheiten, anderseits verschwommene Ganzheiten, z. B. auf unteren Entwick-
lungsstufen. Hierhin gehören auch die niederen, starken Gefühle. Höhere Ge-
fühlsformen setzen voraus „eine vielschichtige Gegliedertheit des gleichzeitigen
Erlebnisbestandes"; so das ästhetische Genießen und das künstlerische Schaffen. Sie
besitzen außer Qualität und Intensität noch eine „Tiefe", d. h. — wenn ich meine
Ausdrucksweise einsetzen darf — eine „Werthöhe". Sander hat in einer vortreff-
lichen Untersuchung über „räumliche Rhythmik" den Nachweis geführt, daß kenn-
zeichnende Gefühle mit dem Gestalterleben sich verbinden, zumal bei Änderungen in
Einzelheiten eines Strichkomplexes und dadurch bedingten Änderungen im Aufbau
eines Ganzen. Er schildert, wie der Gestaltungsdrang sich um Ordnung des Ge-
gebenen bemüht und wie ein Gebilde, das geometrisch nicht befriedigt, in einer an-
deren seelischen Schicht einen Bedeutungsgehalt gewinnen kann. Ich selber würde
den Nachdruck darauf legen, daß nicht jedes Ganze ein Sinnträger zu sein braucht:
die Umrißfigur eines Hundes, zugleich Ganzes und Gestalt, hat keinen Sinn für den,
der das Tier nicht kennt.

Der zweite Band dieser „Studien" ist dem Problemzusammenhang Licht und
Farbe gewidmet. Manche Ergebnisse der hier vereinigten Arbeiten kommen auch
für uns in Betracht. So wird (beispielsweise) wahrscheinlich gemacht, daß Schwarz
und Weiß nicht in die Reihe der Farben gehören, sondern einer besonderen Gesetz-
lichkeit unterworfen sind, daß sie überdies eine Mannigfaltigkeit von Erlebnissen
in sich bergen. Fritz E h r I e r sagt Wesentliches über das experimentell erforsch-
bare Verhalten des Farbengedächtnisses in seiner Beziehung zu verschiedenen
Stilarten der Malerei. Auch den Unterschied zwischen Griffelkunst und Farbkunst
berührt er. „Die Einstellung vom Hellen her bedingt eine reichere Gliederung, daher
 
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