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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0159
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BESPRECHUNGEN.

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sehen, seine Belebung. Wenn Gott liebt, kann die Liebe kein Auftrieb mehr sein,
sie hat Eigenbedeutung und kein außer ihr liegendes Ziel. Während die christ-
liche Liebe die Liebe viel zentraler und tiefer erfaßt als Plato, steht sie in der
Deutung der menschlichen Erotik hinter der platonischen Erkenntnis zurück. Sie
degradiert die Liebe von Individuum zu Individuum; sie ist nur nachträglicher Ab-
glanz der Liebe zu Gott. Beiden Auffassungen stellt Verf. die gegenwärtige Auf-
fassung der Liebe, sowie er sie bei Simmel formuliert rindet, mit ihrer tragischen
Struktur gegenüber.

Stefan Zweig schreibt über Tolstois Vitalität und ihr Wider-
spiel. Der außerordentlichen vitalen Konstitution des Mannes stand eine elemen-
tare Todesangst gegenüber, für die Selbstschilderungen Tolstois zeugen. Diese
brach kurz vor seiner „Umkehr" durch und befruchtete sowohl seine religiöse Wen-
dung als auch seine Kunst.

Plaut veröffentlicht die Selbstschilderung eines Paranoikers.
Max Löwy endlich gibt den großangelegten weitgespannten Versuch einer
motorischen Psychologie, von physiologischen Grundlagen ausgehend, der
sich an dieser Stelle einer Wiedergabe entzieht.

Der bedeutendste Aufsatz des 6. Bandes ist ein Versuch von Paul H o f -
mann, das Verstehen und seine Allgemeingültigkeit in völlig
neuartiger Weise philosophisch zu fundieren. Er definiert Philosophie als Sinn-
erforschung. Sinn aber ist das Gegenteil von jeder Gegenständlichkeit, und so liegt
diese Aufgabe außerhalb der Metaphysik und Erkenntnistheorie. Sinn ist dasjenige,
in welchem und durch das wir Gegenständliches erleben, er ist aber niemals im
gleichen Sinne selbst Gegenstand, wie der in ihm erlebte Gegenstand es ist. Das
sinnhafte Erleben ist ein Wissen und ein Werten. Im Sinne der grundlegenden
Gegensätzlichkeit von Sinn und Gegenstand ist Sinn, relativ zu dem Gegenstand,
den er erfaßt, spezifisch subjektiv. Verstehen findet den Sinn nicht als selbst-
gegebenes Gegenständliches, sondern es spürt ihn nur, es wird seiner inne. Dieses
irrationale instinktive Verstehen von Sinn ist ein Sich-Selbstverstehen des Subjektes,
das den Sinn erlebt. Es ist nicht nur der Gefahr des Irrtums unterworfen, es ist
nicht nur eine Einstellung auf Explikation des erlebten Sinnes, sondern wir spüren
im verstehenden Erleben, wie die in uns lebendigen Sinnmomente Ausdruck sind
der besonderen Möglichkeiten unseres Erlebens überhaupt. Wir sehen darin die
Äußerung einer selbst wieder gesetzlich bestimmten Erlebnismöglichkeit. Der In-
begriff dieser Erlebnismöglichkeiten bildet ein in sich geschlossenes System, und
dessen Einheit muß verstanden werden aus der Struktur des erlebenden Geistes,
dessen Lebensäußerungen die zu verstehenden Sinnmomente sind.

William Stern führt uns aus diesen philosophischen Höhen wieder zur
Empirie. Aber indem er Persönlichkeitsforschung und Test-
methode zum Objekt seiner Ausführungen macht, zeigt er, wie unzulänglich das
bloß empirische Verfahren bleibt, ohne gewisse Wesensüberzeugungen von der
Struktur der Person — natürlich diejenigen, die aus seinem großen Werke schon
bekannt sind.

Bergmann reproduziert die Kritik der Pychoanalyse, welche T.
B u r r o w vom soziologischen und kollektivistischen Standpunkt aus an ihr geübt
hat.

Kretschmer steuert eine feinsinnige Studie bei über die französische
Konstitution s- und Temperamentenlehre. Wir erfahren etwas über
die fast verschollenen Arbeiten der an Lamarck orientierten Forscher Halle, Trois-
vevre und Rostan, welche auch für Kretschmers eigene berühmt gewordene
 
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