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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0193
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BESPRECHUNGEN.

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ihn zum Held und zum Weisen zu machen; diesen muß man erst unter einen anderen
Himmel versetzen", die Frage stellt: „Muß man wirklich den physisch angespannten
Menschen unter einen anderen Himmel versetzen, um in ihm die Selbsttätigkeit der
Vernunft zu erwecken? Ist nicht auch ,die Aufforderung einer erhabenen Situation'
für ihn fruchtbar?" Gerade in jener Antithese Sch.s ist das Entscheidende seiner
Auffassung vom „ästhetischen Zustand" enthalten; ein Zweifel an ihrer Berech-
tigung bedeutet den Zweifel an seiner ganzen Beweisführung. Denn eben die Los-
lösung vom Zwang niederer Bedürfnisse, von der bloßen Zweckgebundenheit, ohne
daß es dazu eines besonderen Willensaktes, einer moralischen Forderung bedarf,
macht ja das Wesen des „ästhetischen Menschen" im Unterschiede vom nur „sinn-
lichen" aus. Weil das „Notwendige und Ewige" bei ihm ein „Gegenstand seiner
Triebe" geworden ist, weil er „schon in seinem bloß physischen Leben der Form
unterworfen" ist, so ist bei ihm jener Zwiespalt überbrückt, von dem Sch.s Frage-
stellung ausgeht, stellt er jenen Charakter dar, bei dem das „sittliche Betragen"
„Natur i s t" und der daher allein die Möglichkeit höherer Gemeinschaftsform, in
der sich „der Wille des Ganzen durch die Natur des Individuums vollzieht",
verbürgt.

Unter solchem Blickpunkt muß nun auch das Verhältnis von Ethik und Ästhetik
in den Briefen gesehen werden. Man wird dabei B.s Ergebnis, das für ihn durch
die Einreihung des Sch.schen Standpunktes unter die Identitätsphilosophie weiteren
Hintergrund gewinnt, daß — im Unterschied etwa von Fichte — Sch.s „Zentral-
begriff nicht das Gute, sondern das Schöne" sei, durchaus beistimmen können. Aber
wenn auch diese Formulierung bei B. eben durch solche Einreihung eine vertiefte
Bedeutung besitzt, wird man sie doch mit Vorsicht handhaben müssen. Denn es gilt,
sich gegenwärtig zu halten, daß es sich dabei nicht mehr nur um Abgrenzung ver-
schiedener begrifflicher Kategorien gegeneinander, sei es im Sinne des Primats der
einen oder anderen, sei es, wie B. will, im Sinne des Identitätsstandpunktes als ver-
schiedener Erscheinungsformen eines Absoluten, handelt, sondern um einen grund-
sätzlichen Wandel menschlicher Haltung, der über die begrifflich formulierbaren
Gegensätze hinausführt oder sich ihrer doch nur als — zum Teil unzureichenden —
Ausdrucksmittels bedient. Den daraus folgenden scheinbaren Widerspruch der Sch.-
schen Darstellung, der doch nur scheinbar ist, hat kürzlich Kommereil in seinem
Buch „Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik" historisch so bestimmt:
„Wahr und gut hieß den damaligen Menschen, die das Übermenschliche nur noch
in begrifflicher Umschreibung faßten, soviel wie Gott. Schiller mußte sich dieser
Begriffe bedienen, um seinem Schönheitsdienste die Weihe zu geben. Als ein Deut-
scher zu Deutschen sprechend mußte er sagen: liebt das Schöne, so werdet ihr gut
— nur so war das Spiel des Geistes mit der Schönheit ausgewiesen als ein Mehr-
als-Lust. Ein Grieche zu Griechen hätte er bloß gesagt: liebt das Schöne, so werdet
ihr schön — und er hätte alles genannt ..." Oder, wenn wir es mit anderen Worten
sagen: es ist eine neue Ethik, die Sch. in seiner Forderung der „ästhetischen
Erziehung" aufstellt, die sich aber noch in die Formen und Begriffe der in seiner
Zeit gültigen kleidet. Die Umgestaltung ethischer Wertungen, die Nietzsche voll-
zogen oder doch angebahnt hat, kündigt sich, ob auch noch vielfach unbewußt und
noch stark durchsetzt mit Elementen der Aufklärungszeit, in den „Ästhetischen
Briefen" an.

Auch wenn man die „Briefe" in solchem Zusammenhang sieht, und gerade von
hier aus, ist es von Wert, daß B.s Interpretation Sch.s Standpunkt scharf von dem
kritizistischen Kants trennt und ihn nach vorwärts in die Linie Schelling-Hegel ein-
reiht. „Daß Sch.s ästhetischer Weltanschauung das Ethische immanent ist ...,

Zeitschr. für Ästhetik u. alle. Kunstwissenschaft. XXIV.

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