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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Glanz, Robert: Der poetische Wertmaßstab Gustave Flauberts, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0291
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DER POETISCHE WERTMASSTAB GUSTAVE FLAUBERTS. 275

t i f". (Co. IV, 215.) Eine Stelle aus einem vier Wochen später datierten
Brief lautet: „Je ne vais pas si vite ... Mais je commence ä voir u n
peu mes personnage s. Je crois qu'ils ne sont plus maintenant
ä l'etat de mannequins, decores d'un nom quelconque." (Co. IV, 330.)
Ähnlich heißt es in einem dritten: „Carthage ne va pas trop mal, bien que
lentement. Mais au moins je vois, maintenant." (Co. IV, 345.) Und
wieder in einem anderen, einem Brief aus dem Jahre 1877, lesen wir:
„Quand je me serai un peu repose je reprendrai mes deux bonshommes
(d. i. „Bouvard et Pecuchet") auxquels j'ai beaucoup songe cet hiver, et
que j'entrevois maintenant d'une facon plus vi-
vante .. ." (O. XI, 287.)

Stil ist für ihn „une maniere absolue de voir les cho-
s e s" (Co. II, 346). „La p o e s i e", bemerkt er ein andermal (Co. III,
149), „n'est qu'une maniere de percevoir les objets
e x t e r i e u r s."

Was meinte nun Flaubert mit der Forderung der „Sichtbarmachung"
von Gegenständen?

In einem Brief an Ernest Feydeau schreibt er über dessen Roman
„Le Mari de la Danseuse" unter anderem: „Comme 9a se voit:
,Bah!' dit-elle, en tournant la main pour boutonner son gant."

Was Flaubert hier als „sichtbar gemacht" beurteilt, darüber kann es
keinen Zweifel geben: ein Gefühlszustand, der Gefühlszustand der U n -
b e k ü m m e r t h e i t, das ist der Gegenstand, von dessen „Sichtbar-
machung" Flaubert hier redet. Was aber beurteilt er als „sichtbar-
machend"? Nun, doch offenbar dasjenige, was die von ihm unter-
strichenen Worte „en tournant la main pour boutonner son gant" bezeich-
nen. Und was bezeichnen diese Worte? Eine sinnlich wahrnehmbare
Handlung, eine Sinneswahrnehmung, bezeichnen sie. Das Flaubertsche
Urteil über die in dem zitierten Satz Feydeaus vorliegende „Sichtbar-
machung" ist also ein Urteil über die „Sichtbarmachung"
des Gefühlszustandes einer Persönlichkeit durch
Mitteilung einer Sinneswahrnehmung über diese
Persönlichkeit.

Es ist klar, daß „Sichtbarmachung" hierbei als bildlicher Aus-
druck aufzufassen ist. Kein vernünftiger Mensch wird im Ernst behaup-
ten wollen, daß ihn die Feydeausche Romanstelle instand setze, einen Ge-
fühlszustand buchstäblich zu sehen, tatsächlich mit
den Augen wahrzunehmen. Nicht daß uns eine Sinneswahr-
nehmung einen Gefühlszustand buchstäblich zu sehen erlaubt,
sondern: daß durch die Vorstellung dieser Sinneswahr-
nehmung in uns dieVorstellungeinesGefühlszustan-
 
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