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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Sterzinger, Othmar: Die Gemäldeoptik des inneren Auges
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0328
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BEMERKUNGEN.

Die Dinge haben auch eigene Farben und diese Farben sind unter dem Ein-
fluß der Beleuchtung und der Beschattung, sowie von bestimmten Eigenheiten
unseres Sehorganes für unseren Anblick allerhand Veränderungen unterworfen.
Hat ein Körper eine rote Eigenfarbe und fällt auf ihn ein blaues Licht, so tritt
eine Farbenmischung ein. Wirft er darin seinen Schatten, ist dieser gelblich. Fällt
auf ihn an einer Stelle ein grauer Schatten, so erscheint der letztere in grünlich-
grauer Kontrastfarbe. Ist der Schatten nicht grau, sondern gefärbt, so tritt eine
neuerliche Farbenmischung auf: die Kontrastfarbe mengt sich mit der Farbe des
Schattens. Dazu kommt noch, daß bei greller Beleuchtung und bei großer Dunkel-
heit sich die Helligkeitsunterschiede und die Farben abschwächen. Wer die Außen-
welt malen will, und zwar so, wie sie sich unserem leiblichen Auge zeigt, der muß
über ein empfindliches Sehorgan und über allerhand Kenntnisse verfügen.

Wenn aber der Maler nicht unsere Außenwelt, sondern Dinge unserer In-
nenwelt darstellen will, wie es nicht nur im Bereiche des Expressionismus und
der ihm verwandten Richtungen, sondern etwas in jeder Phantasiekunst geschieht,
wie ist die Sachlage dann? Ausgehend von einer Bestimmung Helmholtzens
sagten wir: Die Dinge der äußeren Welt stehen in Raum und Luft und Licht
und haben eigene Farben. Wir können diese kurze Charakterisierung der Momente,
die für den optischen Eindruck eines Dinges und seiner malerischen Wiedergabe
in Betracht kommen, als Anhaltspunkte benützen, um die Abweichungen visueller
Natur des innerlich Geschauten und damit seine optische Charakteristik, soweit
eine solche allgemeinerer Art gegeben werden kann, festzustellen. Es handelt sich
also, um einen kurzen Ausdruck zu gebrauchen, darum, die Gemäldeoptik
des inneren Auges zu liefern.

In räumlicher Hinsicht ist zunächst die ganz allgemeine Tatsache fest-
zustellen, daß in der Phantasie, in unseren inneren Gesichten der räumliche Zu-
sammenhang fast alle beliebigen Stufen von dem völligen Erhaltensein bis zur
vollständigen Auflösung durchmachen kann. Dabei hat die Auflösung dieseß Zu-
sammenhanges nun verschiedene Folgen. Einmal trägt die aus diesem Zusammen-
hang gehobene Erscheinung ihre eigenen Züge deutlicher zur Schau, weil sie
eben abgetrennt dasteht; außerdem können diese noch deutlicher herausgearbeitet
werden. Manches kann unterstrichen und anderes, was die beabsichtigte Wirkung
irgendwie stören könnte, ohne Rücksicht auf die physische Kontinuität weggelassen
werden. Aus diesem Zusammenhange kann übrigens auch der Raumeindruck selber
herausgenommen werden. Im übrigen kommen natürlich für alles, was die Auf-
fassung räumlicher Verhältnisse betrifft, alle jene seinerzeit genannten Momente
zur Erörterung, die in der Wirklichkeit den Raumeindruck begründen: Die Akko-
modation und die Konvergenz, die Querdisparation usw. Aber während dort der
gewissermaßen unmittelbare Vergleich mit den Naturdingen dem räumlichen Ein-
druck des Dargestellten geradezu entgegenarbeiten mußte, fällt dies hier weg,
da zu einem Vergleich des innerlich Geschauten mit Dingen der Wirklichkeit
kaum Anlaß sein wird. Und so wird sich auch der zweidimensionale Eindruck
der Malerei selbst, d. h. der Leinwand mit dem ebenen Farbenauftrag nicht so
störend geltend machen. In dieser Hinsicht ist die Malerei der Innengesichte
besser daran.

Die Unterschiede der Darstellungsweisen für die räumliche Erscheinung der
äußeren und der inneren Welt müssen somit in den Mitteln liegen, auf die der
Maler für die Wiedergabe des Raumeindruckes angewiesen ist: in den verschie-
denen Arten der Perspektive, der scheinbaren Größe, der Überschneidungen und
der Schattierungen. Von der Perspektive wird für innere Gesichte, je nachdem,
 
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