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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: 4.Kongress-Bericht — Beilagenheft.1931

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Wind, Edgar: Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik
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Riezler, Walter: Das neue Raumgefühl in bildender Kunst und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.49717#0189
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DAS NEUE RAUMGEFÜHL IN BILDENDER KUNST UND MUSIK. 179
Es ist eben hier wie in allen anderen Wissenschaften. Auch die
Physik hat das Phänomen des Lichtes in seiner Brechung durch ein
ungleichmäßiges Medium studiert. Und die moderne Psychologie ver-
dankt ihre größten Erfolge in der Erkenntnis der seelischen Funktionen
dem Studium jener Störungen, in denen die einzelnen Funktionen, statt
sich zur Einheit zu verbinden, auseinandertreten. Wer nur von den
großen Erscheinungen in der Kunst ausgeht, der verkennt — so lehrt
Warburg —, daß gerade im abgelegenen Kuriosum die bedeutendsten
Erkenntniswerte verborgen liegen. Wer immer gleich an Lionardo, Raf-
fael und Holbein, wo die stärksten Gegensätze ihren höchsten Ausgleich
gefunden haben, herantritt und sie ästhetisch genießt, d. h. in einer
Stimmung, die selbst nur ein momentaner harmonischer Ausgleich von
Gegensätzen ist, der wird glückliche Stunden verbringen, aber in die
begriffliche Erkenntnis vom Wesen der Kunst, die ja die Aufgabe der
Ästhetik ist, wird er nicht eindringen.
Für die Büchersammlung gilt ein Entsprechendes. Verglichen mit
einer anderen Spezialbibliothek muß sie eigentümlich brüchig erschei-
nen, denn sie umfaßt viel mehr Gebiete als eine Spezialbibliothek sonst
umfaßt. Andererseits ist aber ihr Bestand auf jedem einzelnen Gebiet
nicht so lückenlos, wie man es sonst von einer Spezialbibliothek erwar-
tet. Ihre Stärke liegt eben auf den Grenzgebieten, und da es diese Ge-
biete sind, die auch im Fortgang der Wissenschaft eine kritische Rolle
spielen, so darf die Bibliothek von sich behaupten, daß ihr eigenes
Wachstumsgesetz mit dem der Wissenschaft, für die sie arbeitet, iden-
tisch ist. Je stärker die Arbeit auf den von ihr bezeichneten Grenz-
gebieten zunimmt, desto mehr füllen sich gleichsam automatisch ihre
Bestände. Das heißt aber: sie ist auf Mitarbeit angewiesen. — Daher
nimmt sie auch gerne die Gelegenheit dieses Kongresses wahr, um von
den Ästhetikern über ihr eigenes Problem belehrt zu werden: denn nach
Warburgs Worten ist sie eine Bibliothek, „die nicht nur reden, sondern
auch aufhorchen will“.
Walter Riezler:
Das neue Raumgefühl in bildender Kunst und Musik.
Die künstlerische Entwicklung der letzten Jahrzehnte bietet das
schwer überschaubare Bild nicht nur eines unheimlich raschen Wechsels,
sondern auch eines gleichzeitigen Nebeneinander von stark gegensätz-
lichen, ja unvereinbaren „Richtungen“. Auch wo diese Erscheinung nicht
rein negativ gewertet und als Symptom des Zerfalls der Kultur ausgelegt
wird, beschränkt sich die kritische Betrachtung in der Regel darauf, die
 
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