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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0221
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BESPRECHUNGEN.

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ist — allerdings ohne sie zu erschöpfen und oft ohne Verständnis für die geschicht-
lichen Zusammenhänge; Neues und Wichtiges wird an manchen Stellen mitgeteilt,
so in dem Abschnitt über die Renaissance, über Conti und Cesarotti, über Francesco
de Saudis. Die Höhepunkte sieht Croce bei Giambattista Vico und bei Hegel. Das
ist eine bestreitbare, aber immerhin ernst zu nehmende Auffassung. Wie jedoch
die Höhepunkte erreicht worden sind, das wird nicht klar. Ein Grund für diesen
Mangel liegt darin, daß Croce sich nicht eindringend genug mit den von ihm be-
handelten Denkern beschäftigt hat. Hierfür zwei Proben. Von Plotin wird fälsch-
lich behauptet, er habe das Schöne und die Kunst in einen Begriff gegossen, wäh-
rend er doch nur die Form schön nennt, dagegen die — im Kunstwerk nicht feh-
lende.— Materie als häßlich bezeichnet. Das Schöne ist ja für Plotin nur wichtig,
soweit es über sich selbst hinausführt, und mit der „Schönheit in der Seele" ist nicht,
wie Croce offenbar glaubt, die Menschenseele, sondern die Weltseele gemeint. Man
hat den Eindruck, daß Croce die Abhandlung xeq'i tov voi}rov xu/.Xovg gar nicht
kennt. — Ein anderes Beispiel ist Schleiermachers Ästhetik, der Croce besondere
Aufmerksamkeit zuwendet und die er — mit Recht — gegen die üblichen Angriffe
verteidigt. Auch hier fehlt es an der breiten Grundlage. Freilich standen Croce
noch nicht Odebrechts Ausgabe und Buch zur Verfügung, aber er hätte sich nicht
auf die Kollegnachschrift beschränken dürfen, denn längst waren veröffentlicht drei
Akademiereden „Über den Umfang des Begriffs der Kunst in beziig auf die Theo-
rie derselben", und es waren bekannt die zahllosen ästhetischen Betrachtungen in
den verschiedenen Entwürfen der Sittenlehre sowie Ausführungen über den Ort der
Kunst in der Abhandlung über den Begriff des höchsten Gutes. Die Nachschrift der
Schleiermacherschen Vorlesung ist also keineswegs das einzige Zeugnis, „das uns
v<>n seinen ästhetischen Betrachtungen erhalten blieb" (S. 326). So sind Croce denn
die Zusammenhänge der Lehre verschlossen, vor allem die Funktion der Begriffe
Gefühl, Begeistung und Besinnung. Es ist beispielsweise wohl richtig, daß Schleier-
macher die Begeistung mehrfach mit dem Traum vergleicht, aber das ist etwas
durchaus Nebensächliches; bei dem Hauptbegriffe des „unmittelbaren Selbstbewußt-
seins" versagt die Darstellung, weil sie weder auf die „Ethik" noch auf die „Dialek-
tik" zurückgreift, und so wird der Kern der Schleiermacherschen Ästhetik nicht aus
der Schale gelöst, nämlich: die Kunst als sittlich geforderte Selbstoffenbarung des
individuellen Selbstbewußtseins für die Gesamtheit.

Ganz schlimm wird es von dem Punkt an. wo Croce sich der Gegenwart nähert.
Was soll man dazu sagen, daß er die Assoziationisten die „modernen Herren auf
dem Gebiete der Ästhetik" nennt! (S. 110). „Besonders in unseren Tagen hat man
sehr häufig die Notwendigkeit einer induktiven Ästhetik bejaht, einer Ästhetik
v o n u n t e n." Das sei eine „nichtige und lächerliche Untersuchung". „Wir wollen
uns hiermit nicht weiter aufhalten, weil es scheinen müßte, daß wir damit aus Er-
forschern der ästhetischen Wissenschaft und ihrer Probleme zu Erzählern komischer
Anekdoten würden" (S. 115 f.). Wie immer man zur experimentellen Ästhetik stehen
mag — so darf man über die Unsumme ernster Arbeit, die von Fechner an bis zu
Ziehen in Deutschland und Amerika geleistet worden ist, nicht aburteilen. Von der
Ästhetik, die jetzt lebendig ist, schweigt Croce vollständig. Er sagt seinen Lesern
kein Sterbenswörtchen über die Fortschritte der letzten Jahrzehnte, erwähnt weder
die Phänomenologie noch die allgemeine Kunstwissenschaft, weder Volkelts drei-
bändiges Werk noch Wölfflins Schriften, er kennt nicht die tiefgehenden Zergliede-
rungen des Ausdrucksbegriffes, die ihm helfen könnten, seinen eigenen ganz ver-
schwommenen Begriff zu klären — kurz, sein Buch ist gründlich veraltet und war
schon veraltet, als es zum ersten Male erschien. Das muß mit aller Deutlichkeit

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