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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0107
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BESPRECHUNGEN.

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haben, ja darüber hinaus durch Umbildung der Menschengestalt zu kraftvoller
Fülle. Und man kann darin die Auswirkung des Zeitgeschmacks der flavischen
Kunst erblicken, vielleicht auch die klassische Formengebung der vorbesprochenen
Gruppe aus dem augusteischen Zeitalter ableiten. Aber mit der eigentlichen Bild-
gestaltung oder gar mit der Bildschöpfung hat dieser Wandel nichts zu tun. Und
nur auf sie könnte man die innerlich zusammenhängenden Wölfflinschen Grund-
begriffe sinnvoll und fruchtbar anwenden. Daß sich in der pompejanischen Malerei
kein Fortschritt der Sehweise mehr vollzieht, hat Curtius inzwischen an den Fresken
der Villa Item wieder bestätigt gefunden, wo innerhalb des (zweiten) strengen
Architekturstils bereits nebeneinander für verschiedene Bildarten eine noch ziem-
lich lineare, eine breitere malerische und eine ganz impressionistische Darstellungs-
weise zur Anwendung gekommen sind. In der Tat geht auch aus der nachfolgen-
den Zusammenstellung der römischen Wandmalereien dritten und vierten Stils bei
Wirth hervor, daß in der frühkaiserlichen Zeit ein Durcheinander gegensätzlicher
Kunstrichtungen herrschte, wie es erst die Gegenwart wieder gesehen hat. Einen
stetigen allgemeinen Stilwandel herauszulesen, kann daher auch mit Hilfe der von
Wölfflin entlehnten Begriffspaare nicht gelingen. Der Verfasser hält zwar bis zu-
letzt an dem Glauben fest, daß sich durch sie schärfere Abgrenzungen ergeben,
sieht aber wenigstens ein, daß die Erscheinungen sich mit ihnen ohne ergänzende
beschreibende Zergliederung nicht wirklich erfassen lassen. Er hätte m. E. ohne
diesen Begriffszwang aus manchen guten Beobachtungen besonders im Schlußteil
klarere Ergebnisse gewinnen können.

Berlin-Steglitz. _ Oskar Wulff.

Leonardo [Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben]. Des Meisters Gemälde und
Zeichnungen in 360 Abbildungen, herausgegeben und eingeleitet von Hein-
rich Bödme r. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart und Berlin (1931).
In der allbekannten Serie der Stuttgarter „Klassiker" nimmt dieser Band eine
Sonderstellung ein. Von den Bearbeitern des Rembrandt-Codex abgesehen, ist kaum
einem der früheren Herausgeber eine so schwierige und verantwortungsvolle Auf-
gabe zugefallen. Sicherlich beruht es nicht auf „Zufall", daß von den wenigen
epochebildenden Großmeistern der Kunstgeschichte gerade Leonardo der letzte ge-
wesen ist, der in diese Reihe der Unsterblichen und ewig Modernen aufgenommen
wurde. So manche Größe zweiten und dritten Ranges hat hier den Vortritt gehabt.
Der vorliegende Band erscheint als siebenunddreißigster der ganzen Serie.

Die Gründe dieser Verspätung sind mannigfacher, zum Teil auch zeitbedingter
Art. Doch stehen die rein wissenschaftlichen im Vordergrunde. Bekanntlich hat das
tragische Schicksal der schon bei Lebzeiten des Meisters weit versprengten, von der
verständnislosen unmittelbaren Nachfolge halb entstellten, halb verwüsteten Werke
der ordnenden und rekonstruierenden Tätigkeit der internationalen Forschung oft
fast unüberwindliche Hindernisse in den Weg gelegt. Ein weiteres Verhängnis wollte,
daß schon früh und nur allzuoft mit gutem Willen, aber schwachem kritischen Ver-
mögen ausgestattete Persönlichkeiten sich in dieses verführerische Labyrinth mit
seinen tausend Rätselfragen hineinzuwagen sich veranlaßt fühlten und mangels des
unentbehrlichen Ariadnefadens intuitiven Einfühlungsvermögens und strengster kriti-
scher Selbstbeobachtung es vorzogen, phantasievollen Nebelgebilden und lockenden
Irrlichtern zu folgen, die das Dunkel nicht erleuchten, sondern die allgemeine Un-
sicherheit nur vermehren konnten. Erst in jüngster Zeit haben wir einen wahrhaft
erschreckenden Fall dieser Art erlebt.

Doch auch die ältere Leonardo-Literatur enthielt der Widersprüche und unge-
lösten Fragen genug. Und die wenig beneidenswerte, aber auch gänzlich neue Auf-
 
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