Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0219
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN.

205

lative Kraft absprechen, und doch war er einer von denen, die die Hegeische Syn-
these als Ausdruck eines unwahren Quietismus empfanden, die aus Bedürfnis nach
ganzer Wahrheit lieber die ungelösten Gegensätze hinnahmen und auf die trö-
stende, rettende Vermittelung verzichten.

Was aus dieser persönlichen, kaum mehr Hegeischen Auffassung der Idee für
die weitere Gestaltung der Vischerschen Ästhetik entspringt, hat uns E. Volhard
deutlich vor die Augen geführt. Da diese Idee, trotz allen dialektischen Feinheiten,
der Wirklichkeit gegenüber transzendent bleibt, da sie nur als Allgemeinheit, nicht
als Einzelheit verwirklicht ist, so muß sie in „bestimmte" Ideen, in Partialideen,
gespalten werden. Und da die Partialidee auch nicht recht zur unmittelbaren Reali-
tät gelangen kann, so fragt sich nun: ist der konkrete Inhalt des Schönen die
Idee? Oder ist dieser konkrete Inhalt des Schönen nicht besser als eine Partiku-
larität zu bezeichnen, die, im Lichte der Idee betrachtet, so erscheint, als ob die
bestimmte, und mittelbar die absolute Idee hier und jetzt verwirklicht wäre?

Ganz richtig hat Volhard in diesem keineswegs klaren, aber hochinteressanten
und echt Vischerschen Verhältnis zwischen Idee und Wirklichkeit den Boden ge-
funden, aus dem die weiteren Grundbegriffe der Ästhetik entsprossen sind: die des
Zufalls, des ästhetischen Scheins, des Symbols. Hier erweist sich Vischer als eine
kämpfende Natur, die das Ringen des Zeitgeistes ganz anders miterlebt als Hegel.
Der Anspruch der Religion, die absolute Idee in der Form des Glaubens wirklich zu
besitzen, ist ihm unhaltbar. Wohl sind die Weisen verschieden, wie der Geist sich
der Idee zu bemächtigen trachtet. Aber die Weise des Glaubens gehört nicht dazu,
sondern ist eine Produktion der Phantasie. Nur im unendlichen Weltprozeß und nur
im Gedanken verwirklicht sich die Idee. Als Vollkommenheit des Ganzen, als Har-
monie des Weltalls kann sie erscheinen — im Schönen. Dieser inhaltvolle
Schein weist auf das Ganze hin, das vollkommen ist; er verleiht dem Leben einen
Sinn; er ist symbolisch eben durch dieses Hinweisen. Von hier aus führt eine Linie
zur Lehre des Symbols, die Vischer freilich immer mehr auf das psychologische
Gebiet hinlenkte, indem er die Begriffe des Leihens, des Denkens in Bildern, mit
einziger Feinfühligkeit beschrieb. Jetzt ist der Hegeische Panlogismus endgültig
verlassen: der Mensch wird immer mehr der wahre Inhalt des Schönen, und die
Welt wird nur auf Grund des leidenden Seelenaktes schön. So überschreitet Volhard
die richtige Grenze kaum, wenn er von Vischers „Pananthropismus" spricht.

Je mehr die realistische Tendenz, die Vischers Denken von jeher zugrunde lag,
erstarkte, um so mehr verdünnte sich ihm die Hegeische Einheit, bis sie ihm
schließlich zum Postulat wurde, an dem der Glaube an einen Sinn der Welt haften
blieb. In den späteren Schriften merkt man am besten, wie dieser Glaube mit dem
Wirklichkeitserlebnis zu kämpfen hat. Diesem bald sich humorvoll abspielenden,
bald sich tragisch zuspitzenden Kampf verdanken wir eine Philosophie des Zufalls,
die wohl einzig dasteht. Hier wird an eine besonders empfindliche Stelle der Hegel-
schen Spekulation gerührt. Hier wird prägnant gezeigt, wie zu den Vermittelungen,
die das Leben in sich zusammenzufassen und zu verarbeiten hat, das Irrationale,
das vom absoluten Geist nicht Bezweckte gehört, sodaß die Einheit des Lebens von
dem ewigen Konflikt der Idee und des Zufalls gefährdet und schließlich gesprengt
wird. Die Vischersche Lehre vom Komischen, die so reich ist an Aufschlüssen je-
der Art, der Roman „Auch Einer" sind Ausdrücke eines spezifischen Lebensgefühls,
das sich eben dieses Weltbild geschaffen hat. Und dieses Lebensgefühl, mit seinem
wechselnden Rhythmus, mit seinen Schwankungen, bald bejahend, bald zur Relativi-
tät aller Werte, zur Absage an das Sein, zum Nihilismus hinneigend, ist wohl der
Grund, warum Volhard F. Th. Vischer in die Nähe der Pessimisten, der Skeptiker
 
Annotationen