Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

DOI Artikel:
Tietze, Hans: Zur Psychologie und Ästhetik der Kunstfälschung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0225
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
PSYCHOLOGIE UND ÄSTHETIK DER KUNSTFÄLSCHUNG. 211

den6). Gerade dem Betrug gegenüber, der sich gegen das Vermögen
einer Einzelperson richtet, hat die Fälschung ein öffentliches Interesse
zu ihrem unmittelbaren juristischen Objekte. Daher ist theoretisch jener
mit der Schädigung, diese mit der Täuschung vollendet7). Was jeweils
vorgetäuscht werden soll, ist jener Wert, der sich am nachgeahmten
echten Gegenstand der entscheidenden Schätzung erfreut; daß dabei das
Schwergewicht mehr und mehr auf die materielle Seite verschoben wor-
den ist, hängt mit der Entwicklung zusammen, die die ganze Beurtei-
lung von Kunstwerken genommen hat. Ein Aspekt, der mit dem We-
sentlichen der künstlerischen Schöpfung nichts zu tun hat, hat — durch
den Goldschimmer, den er ausstrahlt — alle Blicke geblendet; in Wahr-
heit trifft die Fälschung für jeden an einem Kunstwerk Interessierten
jenen Wert, der für ihn der maßgebende ist.

Daher ist Kunstfälschung von jeder Bevorzugung gewisser Objekte
wegen bestimmter Eigenschaften, die mit normalen Mitteln nicht hervor-
gebracht werden können, unabtrennbar; das Sammelwesen ist deshalb
offenbar die wesentlichste Voraussetzung für das Gedeihen des Fälscher-
wesens. Solange Gegenstände ihrer natürlichen Bestimmung dienen, for-
dert diese unabweislich ihre Erfüllung; sobald aber der entscheidende
Anwert in Eigenschaften verlegt wird, die außerhalb jenes Zweckes lie-
gen, ist der Anreiz vorhanden, den Anschein dieser Eigenschaften zu
erwecken. Daß sie zwischen Angebot und Nachfrage ausgleicht, macht
Kunstfälschung unwiderstehlich und unentbehrlich; sie erfüllt ein vor-
handenes starkes Bedürfnis.

Eine Bestätigung dafür bietet jenes Gebiet, das die auffälligste Ana-
logie zur Kunstfälschung der ausgehenden klassischen Antike und der
Neuzeit bietet, die Reliquienfälschung des Mittelalters, die wie jene die
Kunstverehrung den Reliquienkult dieser Zeit zwangsläufig ergänzt.
Den erstaunlichen Umfang dieses mittelalterlichen Reliquienwesens —
nebst seinen psychologischen Grundlagen und pathologischen Auswüch-
sen — hat Stephan Beissel6) geschildert, der vielleicht durch dieses
Thema zur Beschäftigung auch mit der Frage der Kunstfälschung ge-
führt worden ist9). Denn die Ähnlichkeit der da und dort waltenden
Geistigkeit ist bei aller Gegensätzlichkeit nicht zu übersehen; hier wie
dort ist, was gefälscht wird, nicht so sehr die materielle Erscheinung

») Köstlin, Abhandlungen aus dem Strafrecht, 1858, II, S. 121.
") Ad. Lenz, Die Fälschungsverbrechen, Stuttgart 1897.

8) St. Beissel, Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland
bis zum Beginn des XIII. Jahrhunderts. — Ders., Die Verehrung der Heiligen und
ihrer Reliquien in Deutschland während der zweiten Hälfte des Mittelalters. Er-
gänzungsheft 47 bzw. 54 zu den Stimmen aus Maria Laach.

") St. Beissel, Gefälschte Kunstwerke, Freiburg i. B. 1909.
 
Annotationen